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Selbstbewusstsein


 
 

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Township Fire

Kunst in der Township klingt zunächst so absurd, als könne man sich auch fliegende Kühe vorstellen. Aber bekanntlich gibt es nichts, was es nicht gibt. Und so haben Township-Bewohner in Khayamandi gewissermaßen den Spieß umgedreht und bieten eine Musikshow für Weiße. Die Besucherzahlen steigen so schnell wie die gefühlte Temperatur eines Show-Abends.

In einer größeren Halle in Khayamandi, der Township, dem Schwarzenviertel des etablierten Wein- und Wellness-Ortes Stellenbosch in Südafrika, begrüßen zwei schwarze Damen in goldgelben Cocktailkleidern ihre abendlichen Besucher. An der Kasse verkauft O'Ryan Winter als Fix Marwana, der „Barmann“ und spätere Erzähler in weiß glänzendem Anzug und gegelten Rastalocken, die Karten. Julian, ein junger Schwarzer in Nadelstreifen, weißem Hemd und schwarzer Fliege führt die Gäste zu ihren Plätzen an langen Tischen. Khayamandi – „frohes Zuhause“ – ist mal als Taverne gestartet. Armenviertel von Stellenbosch? Kein Zweifel! Aber auch Ort eines neuen Selbstbewusstseins der Schwarzen, Protest und Ausdruck ihrer eigenen Kultur. Fix Marwana erzählt seine Geschichte.

Seit etwa 1980 hat sich in Khayamandi, in dem bis dahin Schwarze in trostlosen Plastik- und Wellblechhütten lebten, ein kleines Kulturzentrum entwickelt. Hier begann eine Schwarzeninitiative, die Weintouristen um Stellenbosch mit einer Show zu überraschen, in der sie zu schwarzafrikanischer Musik, Tänzen und ähnlichem einluden und die vorwiegend weißen Besucher mit ihrer Kultur überraschten. Statt als Bustouristen durch die Armenviertel zu kutschieren, können sie hier schwarze Kultur erleben und kennen lernen. Der Titel der Show, Amazink aus der Xhosa-Sprache, meint „die Leute, die unter einem Blechdach leben“, und die Besucherzahlen steigen.

Die Halle ist abgedunkelt. In der Mitte des Raumes plötzlich harte, laute Schläge. Spotlight, zwei Schwarze tanzen und singen auf einem kleinen Podium. Europäisch schwarz-weiß gekleidet, signalisieren sie: Wir gehören dazu, wir gehören zu euch. Ein Feuerwerk von Songs und Tänzen in afrikanischen Rhythmen beginnt, rasant, schnell, synkopisch, laut, sehr laut. Eine wilde Mischung aus afrikanischen Songs, Tanzrhythmen und einer fort- und mitreißenden Percussion-Gitarrenmusik in ungewohntem Klang.

Dann tritt Ramaine Barreiro-Lloyd als Patricia auf, eine junge, untersetzte, dralle Schwarze mit provokant freizügigen Reizen, ein explodierendes Bündel an Temperament. Neben Winter ist sie die zweite Professionelle in der Truppe. Mit voluminöser Stimme, die von schrillen Kopftönen bis zu melodiös-weichen, tiefen Altlagen reicht, präsentiert sie afrikanische Songs und englische Titel der internationalen Charts. Die Zuhörer erkennen Songs der als „Mama Afrika“ bekannt gewordenen schwarzen Sängerin Miriam Makeba, ebenfalls ein Townshipkind, Songs von Mango Groove, Johnny Clegg & Savuka, weitere afrikanische Titel, die Patricia mit einer Gruppe von Backgroundsängerinnen und -sängern mal schwermütig-sentimal, mal überdreht schrill und in rasendem Tempo mit viel Temperament und Rhythmus auf die Bühne bringt. Ein junger, schlanker Schwarzer mit Rastalockenkopf und einer wunderschönen weichen Tenorstimme tritt auf. Er überrascht mit Songs, die im Operngenre gern als Countertenor gefeiert würden. Im Gespräch gesteht er, er wisse nicht, was ein Countertenor sei – und trifft ihn trotzdem perfekt. Während bei den Sängerinnen generell eine helle Stimmfärbung überrascht, verwundert das Stimmvolumen der Sänger. Fast alle singen von kreischend-hohen Tönen, typisch für viele afrikanische Songs, bis zu wohltönend-dunklen Baritonlagen ein breites Spektrum ausdrucksstark überzogen oder verhalten sentimental. Die „afrikanisch“ anmutende Kleidung der Tänzerinnen mit Perlenketten, typisch bunten Röcken und fliegenden Obergewändern sind Tribut an die weißen Besucher. Sie passen aber zum völlig anderen Körperausdruck, in dem die Tänzer agieren, zu der ungeheuer expressiven Körpersprache, dem übersteigerten Ausdruck und der Dynamik, dem rasenden Rhythmus und der überschäumenden Lebensfreude, die eben doch sehr „afrikanisch“ sind.

Traurige Geschichten, die aufrichten

Der Rhythmus wird zunehmend schneller und ekstatischer. Hier sind keine „Vorklatscher“ erforderlich, die Besucher können sich kaum auf ihren Sitzen halten, bald tanzt der halbe Saal auf unterschiedlichste Weise mit. Die Sänger/Tänzer führen vor, was mitreißender Rhythmus ist. Selbst ein über zwei Stunden griesgrämig dreinschauender Nordeuropäer kann das rhythmische Mitgehen auf Dauer nicht unterbinden und lässt seinen Körper mitschwingen. Hier spüren die Besucher etwas von dem, was der private Nelson Mandela mit „der eigentümlichen Schönheit der afrikanischen Musik“ meint, die darin besteht, dass sie „aufrichtet, selbst wenn sie eine traurige Geschichte erzählt.“

Patricia, Anchorwoman und Zentrum der Musikshow, ist gleichzeitig Managerin der Truppe, zu der sie junge Schwarze, meist in Khayamandi groß geworden, zusammengeführt hat. Sie erhalten in Zusammenarbeit mit dem Barnyard-Theater, einer Theaterkette, eine professionelle Ausbildung in Gesang, Tanz und anderen künstlerischen Fächern, mehrere studieren an der University of Cape Town künstlerische Fächer. Den Kontakt zu ihrem Standort, zu ihrer Heimat erhalten sie aufrecht, sie wohnen in Khayamandi.

Amazink zeigt eine afrikanische Tanzshow, die trotz ihrer Ausrichtung auf weiße Besucher viel Authentisches der heutigen Schwarzenkultur vermittelt, wie man sie nur bei Leuten findet, die schon mal in shacks unter einem Blechdach gelebt haben.

Horst Dichanz, Stellenbosch, Südafrika, 8.3.2013

 


Ramaine Barreiro-Lloyd zeigt sich
als „Chefin“ nicht nur offenherzig,
sondern auch mit einem mächtigen
Rhythmus, dem sich die Besucher
kaum entziehen können.


Kultur heißt nicht nur Musik, sondern
in erster Linie Dialog. Die Nähe von
Künstlern und Publikum trägt mit zur
Faszination bei.


Immer mehr Weiße verlassen die
ausgetretenen Tourismuspfade der
Township, um Amazink zu erleben.


O'Ryan Winter alias Fix Marwana
gehört nicht nur zu den professionellen
Künstlern, sondern betätigt sich zur
Freude der Gäste auch als Barmann.


Afrikanisch-folkloristische Kleider sind
den Erwartungen der weißen Besucher
geschuldet, tragen aber auch zum
Gesamteindruck bei.

Fotos: Amazink