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Buchbesprechung

Beruflicher Abschied


Autor



Holger Winkelmann-Liebert, Jahrgang 1965, hat Islamwissenschaft, Philosophie und Religionswissenschaft in Hamburg studiert. Nach 25 Jahren im Klassik-Musik-Betrieb ist der Vater zweier Kinder heute als Notenbibliothekar für die Hamburger Symphoniker tätig.


Kaufinformationen

Holger Winkelmann-Liebert:
Geiger Meier

Books on Demand

ISBN 978-3-8482-5322-7

Paperback, 140 Seiten, 13 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Am fünften Pult ist Schicht

Ein Mensch muss tun, was ein Mensch tun muss. Dem Musiker und Notenbibliothekar Holger Winkelmann-Liebert war es offenbar ein tiefgehendes Anliegen, seinen ersten Roman zu schreiben. Und weil man es als Erstling wirklich schwer hat, in einem Verlag unterzukommen, lässt er es auf eigene Kosten drucken. Herausgekommen ist dabei ein einfach gebundener Paperback-Band ohne Lektorat, aber hochkomplex, von einer irritierenden psychologischen Tiefe, die die Grenzen der Wirklichkeit immer wieder überschreitet.

Die Geschichte scheint so einfach wie profan. Geiger Meier, so auch der Titel des 140-seitigen Werks, muss in den Ruhestand. An diesem Punkt passieren bei vielen Angestellten in der Regel zwei Dinge, je nach Charakter mehr oder minder ausgeprägt: Das eigene Berufsleben wird reflektiert, und die Angst vor dem drohenden Loch muss überwunden werden. Mit nichts anderem hat auch der Berufsmusiker im Orchester zu kämpfen, wenn es so weit ist. Aus dieser Ausgangssituation entwickelt Winkelmann-Liebert ein Panoptikum der Erkenntnis und Enttäuschung, der Verletzung und Entmenschlichung. Je mehr der Geiger Meier entblättert wird – und mit ihm auch sein Umfeld – desto düsterer wird die Geschichte. Und da ist das Schlimmste wahrlich nicht, dass der ehemalige Kapellmeister Meier am fünften Pult landet. Es startet ja so hoffnungsvoll in seiner kleinen großen Traumwelt.

Selbstbewusst machte Meier sich auf. Um ihn herum tauchte nun eine Landschaft auf, eine saftige Marschlandschaft, in der ein frischer Wind blies. Prall waren seine Lungen von reiner Luft. Weiße Haufenwolken begleiteten ihn auf dem geraden Weg durch die flachen Wiesen. Am Horizont lag im Schimmer des Sonnenlichts eine Stadt und wartete auf ihn. Prokofjev lässt grüßen, macht aber nichts, sondern bürgt eher für die Qualität des Textes, die viel eher schon mal durch skurrile Ansichten aus den Fugen gerät: Kunst verlangt Selbsterniedrigung als ihre Bedingung, die Unterwerfung der Menschenwürde unter ihren absoluten Anspruch auf Wahrheit. In der Kunst zählt nie das Ich. Der Körper in seiner dahingeworfenen Nacktheit ist ihr Medium. Was interessiert der Geist, die Seele, die da vegetieren in diesem Haufen Fleisch? Ein Werkzeug ist der Musikus, er wird benutzt vom Über-Ich der Kunst, dessen Verkörperung der Eine da im Rampenlicht, der Dirigent ist. Darum kommen die besten Orchester auch nicht aus demokratischen Staaten. Solche und ähnliche Sätze fordern zur Diskussion, zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk. Bis hin zu extrem ausländerfeindlichen Aussagen, mit denen sich der Leser mal so gar nicht identifizieren oder auseinander setzen möchte. Und doch den Verdacht nicht los wird, der Autor habe hier lediglich dem Volk, sprich: dem Orchester, auf’s Maul geschaut.

Winkelmann-Liebert gelingt es, ohne Helden auszukommen. Am Ende dieser Reise durch die Entblätterung der Seelen gibt es keine Gewinner. Aber allerlei Typen mit seltsamen Gesichtern. Er schien die Nase ständig hochzuziehen, wodurch sich seine Lippen spitzten und nach vorne schoben. Auf der knolligen Nase lag eine unmoderne Brille, die die kleinen Augen in weite Ferne rückte. Dabei schwelgt Winkelmann-Liebert in einer farbenreichen, bisweilen mit Poesie durchtränkten Sprache, die ohne Vorwarnung in die dunkelsten Ecken der Psyche abdriftet und so permanent spannungsgeladen bleibt bis zu einem der Höhepunkte: Alles war Licht und klang wie Bach.

Wer das Buch zur Hand nimmt, kümmert sich nicht weiter um den Untertitel. Wer das Buch nach einer außergewöhnlichen Lektüre wieder beiseitelegt, weiß: Dieses Werk ist ein Finale furioso und sicher nicht nur geschrieben, sondern in erster Linie komponiert. Daran mag auch der etwas plakative Schluss nichts ändern. An Holger Winkelmann-Liebert liegt es nun, in einem zweiten Werk zu beweisen, dass er hier nicht nur seine ganz persönliche Abrechnung mit dem Orchesterbetrieb vorgenommen, sondern wirklich das Zeug zum Prokofjev-Nachfolger – oder mehr – hat.

Michael S. Zerban, 1.2.2013