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Buchbesprechung

Verdis letzte Versuchung


Autorin



Lea Singer studierte Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Germanistik und Psychologie. Seit ihrer Promotion arbeitet sie als Publizistin in München. Sie hat mehrere Romane geschrieben. Unter dem Namen Eva Gesine Baur veröffentlicht sie seit 1997 Sachbücher.


Kaufinformationen

Lea Singer:
Verdis letzte Versuchung

Edition Elke Heidenreich
bei C. Bertelsmann

ISBN 978-3-570-58031-8

Gebunden, 272 Seiten, 20 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Leicht unterkühlt

Und dann hörte ich die Lämmer blöken, immer lauter blöken. Schließlich hörte ich sie brüllen, in Todesangst. So wie ich sie in meiner Kindheit jedes Jahr in der Woche vor Ostern gehört habe, wenn sie beim Schlächter gegenüber in den Hof getrieben wurden.“ Eifersucht, Verlustangst, Unverständnis eines großen Künstlers treiben Giuseppina Verdi nicht nur in alptraumhafte Vorstellungen, sondern auch in körperliche Krankheit. Vor allem aber in eine ständige Überforderung. In ihren Aufzeichnungen versucht sie, das auf einer scheinbar objektiven Ebene zu reflektieren. Der Stein des Anstoßes ist die Begeisterung Giuseppe Verdis für die Sängerin Teresa Stolz. Auch die beiden kommen regelmäßig zu Wort. Eine Stolz, die zwischen absoluter Begeisterung für Verdi und der Gestaltung ihrer Karriere kaum mehr unterscheiden kann. Und ein Verdi, der sich nahezu jedem Gefühl entzieht.

Lea Singer, promovierte Literatur- und Musikwissenschaftlerin, baut ein breites Spannungsfeld auf, in dem neben der Dreiecksgeschichte auf rund 270 Seiten viel Platz für historische Alltäglichkeiten und damit Authentizität gegeben ist. Ein Roman sei das, sagt die Schriftstellerin. Und doch spricht aus nahezu jeder Zeile das Quellenstudium. So erinnert das Werk an sattsam bekannte Doku-Soaps im Fernsehen. Dabei verfügt Singer über eine wunderbar bildreiche Sprache, die sie mit psychologischem Einfühlungsvermögen kombiniert. Würde die Frau Drehbücher schreiben, könnten sie nicht plastischer geschildert sein. „Sie hält mich fest. Ihre Stimme, die mich süchtig macht nach ihrer Sehnsucht. Tötet mich, ihr beiden. Bitte, tötet mich!“ Giuseppina kommt nicht in den Genuss einer leichtgemachten Erlösung. So viel sei hier verraten. Und es sei auch verraten, dass die Ehefrau Verdis eine Schlange ist, die vieles daran setzt, dass eine Teresa am Apfel nascht.

Großartig, wie Singer Verdi charakterisiert. Die Komposition der Aida oder des Requiems für Manzoni schafft er quasi en passant, während er sich auf die bäuerlichen Pflichten konzentriert. Teresa und Peppina, so der Kosename Verdis für seine Frau, beschäftigen sich mit ihren großen Gefühlen, Verdi ist mit seinen Geldgeschäften zu Gange. Eine Dreieckgeschichte, wie sie nicht zeitloser und allgemeingültiger hätte sein können. Und doch bleiben Fragen: Ein Mann, der neben Wagner die vielleicht wichtigsten Opern der Welt geschaffen hat, ein Gefühlsklotz? Ein Puritaner, der ein paar Noten niedergeschrieben hat, um seine bäuerliche Geschäftigkeit zu finanzieren? Der den – angedeuteten – Seitensprung sogleich zutiefst bedauert und damit die Sängerin Stolz beleidigt: „Als Bauer hätte ich es wissen müssen: dass eine Lappalie gewaltige Folgen lostreten kann. Das gibt es nicht nur in Opern. So etwas gibt es auch auf dem Land. Ein falscher Schritt kann einen Erdrutsch auslösen. Oder einen Steinschlag. Ja, als Bauer hätte ich es wissen müssen. Ich hätte vorsichtig sein müssen. Gerade in der Stadt.“ Ist das ein Phänomen – oder die etwas grob geschnitzte Idee eines Romans aus Sicht einer Frau? Letztlich überholt die historische Wahrheit den Roman: Verdi ist an einem Schlaganfall gestorben – in Anwesenheit von Teresa Stolz.

Für Verdi-Fans ein Muss, aber auch Opernfans werden hier auf ihre Kosten kommen. Schließlich ist das eine der Geschichten, die so oder so ähnlich das Leben schrieb – und die sind ja immer noch am spannendsten.

Michael S. Zerban, 20.10.2012