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Buchbesprechung

Ich hänge im Triolengitter


Autorin



Kaufinformationen

Mary Bauermeister:
Ich hänge im Triolengitter - Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen

Edition Elke Heidenreich

ISBN 978-3-570-58024-0

Gebunden, 336 Seiten, 22 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


Authentisch und stark



Ich gehe nicht an Gräber - wozu auch, wenn seine Seele ständig bei mir ist? Das ist so ehrlich und authentisch, dass man wieder an die wahre Liebe glauben möchte (6'45).

 

 

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Mittendrin statt nur dabei

Was für eine Zeit des Umbruchs, des Wandels, der Umwälzungen, der Neuentdeckungen. Wer die 1970-er Jahre erlebt hat, ist in den darauffolgenden Jahren vor Langeweile beinahe umgekommen. Mary Bauermeister war mittendrin. Und sie nimmt uns mit in diese spannende Zeit der 70-er, in der alles möglich schien, ehe der „Deutsche Herbst“ uns fast erstickte: Ich begann zu arbeiten. Wieder einmal überfiel mich dieser Schaffensdrang, dem ich dann nie ausweichen konnte. Mitten in der Nacht, zu beliebigen Zeiten und Unzeiten überkam er mich und zwang mich zum Arbeiten. Zum Abarbeiten alles Erlebten. Nährte er sich aus nicht gelebter Sexualität? Wir wollten in allen Bereichen aufbrechen. Dazu zählte Bauermeisters Kunst ebenso wie die Musik. Während die Jugendlichen ihre Idole in Jethro Tull, Uriah Heep und Genesis fanden, erlebte die Clique um Bauermeister schon ganz andere Klangwelten: Hier kann man üben, die Welt mit unverbrauchten Ohren zu hören. Welch kosmische Weite eröffnet sich, wenn man die Klangfigur erlebt vom Ton im oberen Spektrum, der sich wie im Vogelflug herunterschwingt, sich in Einzelimpulse auflöst, die sich dann verlängern, bis jeder Ton sich wieder so dehnt, dass er zur Fläche wird. Sie haben die Neue Musik für sich entdeckt.

Die Künstlerin hat in diesen Tagen ihre Autobiografie Ich hänge im Triolengitter – Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen in der Edition Elke Heidenreich veröffentlicht. Darin berichtet sie überwiegend von den elf wichtigsten Jahren ihres Lebens, von der Zeit mit Karlheinz Stockhausen. Sie war diejenige, die eine völlig neue Lebensform versuchte, die mit dem verheirateten Paar Doris und Karlheinz Stockhausen und ihren Kindern zusammenlebte. Von Scheitern mag im gnädigen Rückblick kaum jemand sprechen, aber eine gewisse Bitterkeit klingt mit, wenn sie konstatiert: Ob unsere ménage à trois, die wir im engeren Sinn nun zwei Jahre gelebt hatten, eine glückliche Erfahrung gewesen war? Ich komme eher zu dem Schluss, es war eine mehr oder weniger gelungene, würdevolle Zeit des Leidens.

Es sind viele Dinge über Stockhausen veröffentlicht worden, eine solchermaßen subjektive Sichtweise ist neu. Bauermeister ist heute 77 Jahre alt, hat ihre große Liebe zu Grabe getragen, ohne sie je wirklich zu verlassen. Stockhausen lebt in ihrem Herzen fort, vielleicht sogar mehr, als sie in ihrem Buch vorgibt. Ihr großes Herz verschließt sich schnell, wenn es um die Zeit nach der Begegnung mit dem Komponisten geht. Noch heute ist ihre Verletztheit zu spüren. Umso großartiger schildert sie im Buch einen oft missverstandenen Stockhausen in einer Zeit, in der man den ungewohnt Handelnden nicht ertrug, denn das hätte ja zum Nachdenken über die Normen gezwungen, nach denen man selbst lebte, vielleicht gar zum Aufbegehren gegen diese Normen. Nur keine Änderung, das Altbekannte, daran sollte man sich hier halten.

Sie hat so ziemlich alle bedeutenden Personen der Zeitgeschichte getroffen, so mag es scheinen, wenn man ihr auf rund 320 Seiten folgt, in Amerika eine echte Karriere hingelegt, quasi nebenbei, und sich letztlich doch in der Liebe zu einem Menschen verfangen. Das mag Liebenden Mut machen, und insoweit reicht das Werk weit über die schmale Bedeutung einer Autobiografie hinaus: Aus heutiger Sicht kann ich sagen: Hätte Stockhausen mir nicht so viel abverlangt, und hätte ich mich dem nicht gestellt, so wäre ich nicht der Mensch geworden, der ich heute bin.

Wer ihre erste Begegnung mit Stockhausen zu „pilcherhaft“ findet, hat vermutlich recht. Dass sie so hätte stattgefunden haben können, glaubt man erst, wenn man Bauermeister persönlich erlebt hat: die große Lady, stets in weiß gekleidet, was übrigens rein praktische Gründe hat: Du schmeißt das Zeug abends in die Waschmaschine, und morgens bist du wieder ordentlich angezogen. Wer sie nicht selbst erleben kann, muss dieses Buch lesen: Um Stockhausen in seiner Widersprüchlichkeit zu verstehen, um den Zauber einer ganz besonderen Zeit nachzuvollziehen, die es so nicht mehr geben wird, und um eine Ahnung davon zu bekommen, welchen Zickenkrieg es um einen Mann gab, dessen Musik man nicht mögen muss, aber vielleicht nach diesem Buch besser verstehen kann. Bauermeister jedenfalls hat damit ihr pralles Leben nicht abgeschlossen. Und das ist gut so.

Ein wirklich lesenswertes Buch. Beim Lesen ist nicht wichtig, etwas von Neuer Musik zu verstehen, sondern, sich einfach nur auf das Leben vieler besonderer Menschen einzulassen.

Michael S. Zerban