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DVD-Besprechung

Die singende Stadt


19. September 2011


Vadim Jendreyko





 

 

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Die Reihenfolge bringt den Genuss

Das Besondere an der Entstehung einer Oper ist für mich die unvergleichliche menschliche Dichte: es wirken hier unter einem Dach hunderte von Menschen mit unterschiedlichsten persönlichen und beruflichen Hintergründen zusammen.  Es prallen die verschiedensten Temperamente, Kompetenzen und Visionen aufeinander, die mit jeder Inszenierung aufs Neue synchronisiert werden müssen und in ständig wechselnden Kombinationen immer wieder neue Herausforderungen zu meistern haben“, sagt Vadim Jendreyko über die Beweggründe zu seinen Film. Er bezeichnet ihn als Dokumentarfilm. In den Kinos wurde er Anfang des Jahres bundesweit gezeigt. Nun ist Die singende Stadt als DVD erschienen und wird im Theatershop der Staatstheater Stuttgart angeboten, dort, wo er gedreht worden ist.

Anhand von Calixto Bieitos‘ Inszenierung des Parsifal an der Oper Stuttgart hat Jendreyko versucht, alle Stationen einer Opernentstehung aufzuzeichnen. 92 Minuten lang bekommt der Zuschauer aneinandergereihte Szenen aus den Werkstätten, Büros, Studios und Fluren gezeigt. Er bekommt die Vielsprachigkeit einer solchen Produktion zu hören, erfährt andeutungsweise von den mitunter schwierigen Entscheidungsprozessen und erlebt auch die alltäglichen Sorgen und Nöte eines solchen Betriebs – die sich im Übrigen nicht wesentlich von denen anderer Betriebe unterscheiden. Die Bilder sind eindrucksvoll, und wenn Jendreyko am Abend beziehungsweise in der Nacht die Stille des Hauses zeigt, steht das sicher sinnbildlich dafür, wie einsam und ohnmächtig sich der einzelne nach einem langen Arbeitstag fühlen kann.

Bei Menschen, die sich täglich hinter den Kulissen bewegen, wird dieser Film so manches Aha-Erlebnis bewirken. Die anderen werden staunen, dass am Ende dieser unendlichen Mikroprozesse tatsächlich das Gesamtwerk Oper steht. Und viele werden ganz sicher nach diesem Film mit anderen Augen – und Ohren – die nächste Opernaufführung erleben, weil sie die Intensität erlebt haben, mit der in der Oper für ein Werk und dessen Perfektion gefochten wird. Wer allerdings von dem Film mehr als Impressionen erwartet, wird enttäuscht werden. Und insofern wird hier auch ein wenig leichtfertig mit dem Begriff des Dokumentarfilms umgegangen. Denn Einordnung oder Orientierung bleiben vollkommen aus. Jendreyko hat vollständig auf das Off oder Untertitel verzichtet. Das mag künstlerisch wertvoll sein, ist aber für den, der sich hinter den Kulissen, auf der Bühne, in den langen Fluren eines Opernhauses nicht auskennt, eher verwirrend denn erhellend. Der Regisseur erhebt das zum Prinzip: „Wenn man von Anfang an weiß, wer da jetzt spricht, nehme ich ihm die Möglichkeit, sich selbst zurechtzufinden“, erzählt er in einem Zeitungsinterview. Mit der Forderung nach dem selbsterklärenden Film hat das nur bedingt zu tun.

Die notwendigen Erläuterungen findet der Außenstehende im 16-seitigen Begleitheft, das schön bebildert und mit der üblichen Mikroskripsie daherkommt. Auch das Bonusmaterial, das überwiegend aus Gesprächen besteht, ist mit 45 Minuten erfreulich umfangreich. So sollte der, der vom Entstehungsprozess einer Oper noch nichts weiß, sich zunächst Begleitheft und Bonusmaterial widmen, damit er dann die Intensität der singenden Stadt voll und ganz genießen kann.

Michael S. Zerban