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DVD-Besprechung

RAYMONDA

13.6.2012


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreographie

Bühne

Publikum

Kamera
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Chat-Faktor


Cover





 

 

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Graziles Revival

Mit Aleksandr Glazunovs Raymonda bringt Arthaus hier eine Premierenvorstellung in DVD-Format auf den Markt, die live im Teatro alla Scala in Mailand aufgenommen ist. Die Aufführung ist eine Rekonstruktion der Urfassung und anhand von alten Bildern und Schriften entstanden, die von der Originalfassung aus dem Jahre 1898 abgeleitet worden sind.

Raymonda ist das erste Ballett Glazunovs und gilt als letztes wichtiges Meisterwerk des Choreografen Marius Petipa. Die Titelrolle zählt zu den schwierigsten des klassischen Repertoires.

Sergej Vikharev ist für das „Revival“ der Choreografie und die Inszenierung verantwortlich. Er vermag es, den Charme, den Petipa – als Vater des klassischen Balletts – diesem Werk eingehaucht hat, formvollendet wiederzugeben. Unter seiner Regie erleben der solistische Spitzentanz, die Drehungen und Sprünge die absolute Präzision. Obwohl Vikharev Russe ist, vermag er doch Petipas Intention, klassische Technik mit ungarisch-nationaltänzerischen Elementen im Finale zu verweben, perfekt zu realisieren.  

Das wäre ohne die hervorragenden Tänzer natürlich nicht möglich. Olesia Novikova tanzt die Raymonda mit all ihren technischen und gestalterischen Anforderungen auf höchstem Niveau. Mit ihrem Puppengesicht und ihren langen, zarten Gliedern verkörpert sie genau die jungfräuliche Heldin, die Petipa angedacht hat. Sie vermag durch ihre Mimik eine Frau darzustellen, die sich im Spannungsfeld zwischen zwei ganz verschiedenen Männern bewegt.

Friedemann Vogel als Jean de Brienne ist ihr ein sicherer Partner. Er besticht mit raumgreifenden und kraftvollen Sprüngen. Die Rolle des Ritters Abderakhman stellt ganz klar eine Bedrohung der Verbindung Raymondas mit de Briennes dar und muss überwunden werden. Mick Zeni, der den Abderakhman tanzt, gibt den erotischen Verführer glaubwürdig wieder. Die emotionale Intensität, mit der er Raymonda unverhohlen zu verführen versucht, wird in seinen Bewegungen fast greifbar. Nur die weiße Dame, Manuela Aufieri, kann hier helfen, der Jean de Brienne eine solche Kraft verleiht, dass sie dem Aufdringling eine tödliche Wunde zufügen kann. Aufieri verkörpert dieses geheimnisvolle, schwebende glaubwürdig, obwohl ihr Kostüm zunächst gewöhnungsbedürftig und leicht deplatziert wirkt: ihr spitzer Hut erinnert eher an die böse Fee aus Dornröschen.

Das Bühnenbild, gestaltet von Elena Kinkulskay und Boris Kaminsky, hält sich an den Rahmen der Einfachheit. Hauptsächlich werden prächtige Schlosskulissen gezeigt, es gibt aber auch eine große Treppe, die genutzt wird. Aufgrund der großen Anzahl von Tänzern ist die geringe Anzahl an Umbauten und der unaufdringliche Bühnenaufbau richtig gewählt.

Nicht nur das Bühnengeschehen ist großartig gelungen. Ebenso kann das Orchester der Mailänder Scala unter der Leitung von Michail Jurowski begeistern. In den Kamerabildern, die ihn direkt zeigen, kann der Zuschauer sehen, wie der Dirigent die farbenreiche Musik mit lebt und ihr mitreißendes, ab und zu schwelgerisches und immer wieder melancholisches Potential so wunderbar darzustellen vermag. Die Kamerafahrten gleiten zu Beginn und zu Ende eines Aktes immer wieder zum Orchester, fangen einzelne Instrumente und Musiker ein und kommen bei Jurowski zur Ruhe. Die Totale, mit der das Geschehen auf der Bühne eingefangen wird, wechselt sich schön mit Nahaufnahmen der Ballettsolisten ab. Leider kann das Publikum nicht gezeigt werden, denn die Logen sind natürlich während der Aufführung nicht ausgeleuchtet.

Insgesamt ist diese DVD dank einer wirklich vielfältigen und farbenfrohen Partitur, die mit verwobenen ungarischen und klassischen Elementen gespickt ist,  ein wunderbares Ballett-Erlebnis.

Agnes Beckmann

 

Fotos: Marco Brescia
& Rudy Amisano/Teatro alla Scala