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DVD-Besprechung

L'Olimpiade

3.3.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Olympiade der Gefühle

Giovanni Battista Pergolesi ist Opernfreunden heute fast nur noch durch seine gelegentlich aufgeführte Oper La serva padrona ein Begriff. Das ist eine komische Oper. Wie sehr Pergolesi sich jedoch auf dem Gebiet der ernsten, tragischen, ja dramatischen Oper zu bewegen vermochte, zeigt seine Oper L’Olimpiade. Lange nahezu in Vergessenheit geraten, ist sie in jüngster Zeit etwa 2011 in der italienischen Stadt Jesi in einer szenischen Neuproduktion zur Premiere gekommen, die nun auf DVD dokumentiert ist.

Das Libretto stammt vom damals wohl bedeutendsten Operndichter Pietro Metastasio und ist nicht nur von Pergolesi vertont worden. Vor ihm haben etwa Antonio Vivaldi und Antonio Caldara ihre Versionen herausgebracht. Pergolesis Oper ist im Januar 1735 in Rom uraufgeführt worden.

Wie der Titel annehmen lässt, geht es um die Olympiade. Aber die ist vor allem die Schablone, vor der sich die Geschichte abspielt, die wesentlich von mehr oder weniger komplizierten Beziehungsgefügen getragen wird. Der König Clistene hat seine Tochter Aristea als Preis für den Sieger der olympischen Wettkämpfe ausgesetzt. Licida, der vermeintliche Sohn des Königs von Kreta, möchte Aristea für sich gewinnen, schickt aber statt seiner selbst seinen Freund Megacle in den Kampf; der hat bei Licida noch eine Schuld zu begleichen, ahnt aber noch nicht, dass seine Geliebte Aristea der Preis des Wettkampfes ist. Aristea weigert sich, der Preis für den Wettkampf zu sein, geht jedoch davon aus, dass für sie alles gut wird, als sie erfährt, dass Megacle zum Kampf antritt – nicht ahnend, dass er für Licida kämpft. Die Verwirrungen nehmen ihren Lauf, Licidas Betrug, nicht selbst zu kämpfen, wird aufgedeckt. König Clistene verurteilt ihn. Licida findet in Argene eine eifrige Fürsprecherin, die als Schäferin verkleidet lebt, jedoch Licidas Geliebte war, bevor ihre Verbindung durch den König von Kreta verboten worden ist. Am Ende stellt sich heraus, dass Licida der Sohn Clistenes, nicht der des Königs von Kreta, ist. Er wird begnadigt. Licida und Argene finden wieder zueinander, Megacle und Aristea ebenfalls, und es wird schließlich eine Doppelhochzeit gefeiert.

Nicht einfach zu durchschauen ist dieses Wirrwarr an Beziehungen, umso anspruchsvoller die Aufgabe, eine szenische Lösung zu finden. Die ist Regisseur Italo Nunziata mit ebenso einfachen wir wirkungsvollen Mitteln gelungen. Der Zuschauerraum des Teatro Valeria Moriconi in Jesi ist fast vollständig mit einer kreuzförmigen Plattform ausgelegt. Darum sitzen die Zuschauer, darauf agieren die Figuren. Viel mehr, ein paar Requisiten wie Bilderrahmen noch, hat Bühnenbildner Luigi Scoglio nicht gebraucht, um einen auf engstem Platz dennoch variablen Spielraum zu schaffen. Es geht in diesem Stück nicht um äußere Handlung, um konkrete Schauplätze, sondern um die komplexen Gefühle der Figuren, um emotionale Affekte und seelische Zustände. Die haben ganz viel mit den Menschen, mit allen Menschen zu tun. Je näher sie ans Publikum herangetragen werden, desto besser. Ruggero Vitrani schafft dazu ebenfalls schlichte, aber die Intentionen der Aufführung klar umsetzende Kostüme, die sich in stilisierter Form Adels- und Schäferkleidung des 18. Jahrhunderts annähern, ohne sie exakt abbilden zu wollen. Rot, grau-braun und  blau sind die beherrschenden Farben auf dem ebenfalls blauen Kreuz. Unterstützt durch die von Patrick Latronica gestalteten Lichteffekte kommt eine atmosphärisch dichte Aufführung zustande. Sicher, es ist mehr ein szenisches Arrangement der Gefühlswelt der Protagonisten als eine Umsetzung der Geschichte mit allen ihren Rahmenbedingungen. Aber für das Opernrepertoire dieser Zeit hat eine solche Herangehensweise durchaus ihre Berechtigung. Die Kameraführung holt dieses szenische Konzept durch viele Naheinstellungen, aber auch immer wieder die Besonderheit des hier geschaffenen Raumes durch von oben aufgenommene Totaleinstellungen dicht an den Zuschauer am Bildschirm heran.

Musikalisch steht vorzügliches Personal zur Verfügung. Alessandro De Marchi leitet die Musiker der Accademia Montis Regalis transparent, atmet den dramatischen Fluss stets aufmerksam mit und betont den instrumentatorischen wie melodischen Einfallsreichtum der Partitur mit großer Sensibilität.

Sängerisch bleiben ebenfalls kaum Wünsche offen. Angefangen bei Raul Giménez, der den Clistene singt. In den 1980-er und 1990-er Jahren machte Giménez als einer der weltweit führenden Tenöre des Belcanto-Repertoires Karriere, zumal mit den großen Partien Rossinis. Der Stimme ist schon anzuhören, dass sie ihren Höhepunkt bereits überschritten hat; das allerdings fällt überhaupt nicht ins Gewicht angesichts der vorbildlichen Stimmführung, der kultivierten Tonproduktion, die Giménez mit inzwischen über 60 Jahren noch immer, vielen jungen Kollegen zum Vorbild, zu bieten hat.

Lyubov Petrova gibt die Aristea mit lyrisch-schmelzendem Sopran, der, wenn es gefordert ist, auch durchaus zur koloraturgespickten dramatischen Attacke fähig ist. Leicht und schwebend setzt sich dagegen Jennifer Riveras feiner, etwas silbrig glänzender Sopran als Licida ab. Mit erdig gefärbtem, kernigem Sopran breitet Sofia Soliviy eine breite Farbpalette als Megacle aus.

Yetzabel Arias Fernandez strahlt mit ihrem bronzen gefärbten, ebenso feinen wie üppigen Sopran Güte und Menschlichkeit aus. Einen satten, weich strömenden Alt bringt Milena Storti als Clistenes Vertrauter Alcandro ein. Antonio Lozano schließlich als Aminta, der Erzieher Licidas, komplettiert das Ensemble mit seinem klar artikulierenden, rund geführten Tenor. Wie gut sich Stimmen und Instrumentalbegleitung im Theater in Jesi gemischt haben, lässt die DVD natürlich nur erahnen. Die insgesamt sehr gut abgestimmte Tonqualität weist jedoch darauf hin, wie homogen die Aufführung erst in der live-Situation geklungen haben muss. 

Pergolesi ist mit seiner L’Olimpiade eine eindrucksvolle Komposition und ein ausdrucksstarkes musikdramatisches Werk gelungen. Wie er zutiefst menschlichen Regungen in vielen Arien mit ebenso einfachen wie berührenden musikalischen Mitteln tiefen Ausdruck verleihen kann, ist eine Klasse für sich. Es lohnt sich unbedingt, die Aufmerksamkeit für dieses Stück wieder zu wecken, was dieser DVD dank einer Aufführung auf hohem Niveau gelingt. Das Publikum in Jesi ist von der Aufführung rundum begeistert, eine Stimmung, die sich beim Betrachten der DVD durchaus ebenso einzustellen vermag.

Christian Schütte

Fotos: Binci