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Buchbesprechung

Über Wagner


Herausgeberin



Nike Wagner, geboren 1945 in Überlingen am Bodensee, ist promovierte Publizistin, Dramaturgin und war von 2004 bis 2013 Leiterin des Kunstfestes in Weimar, dem sie den Namen Pèlerinages gab.


Kaufinformationen

Nike Wagner (Hrsg.):
Über Wagner. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2013

Reclam

ISBN 978-3-15-010923-6

Gebunden, 380 Seiten, 14 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Die Meinungen der anderen

Ist es ein Manko, wenn sich ein berühmter Literat, Musiker oder Philosoph noch nicht zu Richard Wagner geäußert hat? Es scheint fast so, wie Nike Wagners Anthologie Über Wagner zeigt. Viele interessante Textstellen hat die Urenkelin des Komponisten hier zusammengefasst, die die umstrittene Persönlichkeit in vielen Facetten beleuchten.

Über Richard Wagner sei angeblich fast so viel geschrieben worden wie über Jesus Christus und Napoleon, man könne sich also die Schwierigkeit und das Hochgefühl vorstellen, die unzähligen literarischen Wagner-Texte zu sammeln und in einem Buch zusammenzustellen. Ob die Verwandtschaft Nike Wagner dabei geholfen hat, verrät sie in ihrem Vorwort nicht. Bereits 1995 hatte die Urenkelin Richard Wagners ihre Anthologie Über Wagner zusammengestellt. Von Nietzsche über Strawinsky, von Dalí über Mann hat sie zahlreiche Stimmen zu Werk und Person Richard Wagners gesammelt, die ein aus völlig verschiedenen Perspektiven bestehendes facettenreiches Bild des umstrittenen deutschen Komponisten vermitteln. Die Neuausgabe hat Nike Wagner mit neueren Stimmen von Persönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Hans Neuenfels oder Slavoj Zizek angereichert.

Die Anthologie ist nicht chronologisch, sondern nach Themen gegliedert, und so beginnt Nike Wagner mit einigen Texten zum Tode Richard Wagners am 13. Februar 1883. Der Philosoph und bekennende Wagnerianer Friedrich Nietzsche verfasst aus diesem Anlass das düstere Gedicht R. W. Venezia: „Gondeln, Lichter, Musik – trunken schwamms in die Dämmrung hinaus…“ beschreibt er sein Berührtsein vom Tode des Komponisten. Auch der große Musikkritiker Eduard Hanslick kommt zu Wort: „Kein Musiker“, weiß er, „ist uns noch begegnet, so unfähig oder so leidenschaftlich, die glänzende Begabung und erstaunliche Kunst Wagners zu verkennen, seinen enormen Einfluß zu unterschätzen, sich dem Großen und Genialen seiner Werke selbst bei eingestandener Antipathie zu verschließen.“ Und auch ganz plastische Schilderungen des italienischen Schriftstellers Gabriele D’Annunzio, der die Leiche im gläsernen Sarg sah, finden sich zu Beginn des Werkes.

Kritische Stimmen gegenüber dem Komponisten liest man bei Thomas Mann, der erklärt, dass sein Bekenntnis über Wagner zu keiner Zeit eigentlich ein Bekenntnis zu Wagner gewesen sei. Er bemerke viel Wagnerkritik in der höheren Jugend, auch Gleichgültigkeit, weil Wagner einfach 19. Jahrhundert sei. Dass Wagner ein angesagtes Thema ist und überall über Wagner gesprochen wird, merkt der Philosoph Karl Marx in einem Brief an seine Tochter Jenny 1876 an: „Allüberall wird man mit der Frage gequält: Was denken Sie von Wagner?“

Interessant ist, wie völlig verschieden die Sicht von Musikerkollegen auf Richard Wagner ist. Ist Claude Debussy der Auffassung: „Wagner hat der Musik nie gedient“, und stimmt Igor Strawinsky in den Kanon des „Verrates der Musik“ ein: „Nicht ohne Grund ringe ich mit dem berühmten Gesamtkunstwerk. Ich werfe ihm nicht nur seinen Mangel an Tradition und seine neureiche Aufgeblasenheit vor“, so liest man in einem 1909 verfassten Brief Alban Bergs an seine Frau folgende Zeilen: „Nun komme ich direkt vom Parsifal. Wärst Du wenigstens jetzt hier, wenn es uns schon nicht vergönnt war, zusammen das für einen allzu überwältigende Wunder zu erleben.“

Natürlich darf auch die politische Funktionalisierung des Komponisten nicht fehlen. Und so äußert sich der aus der Schweiz stammende Dramaturg Bernhard Diebold erschrocken: „Unglaubliches ist geschehen! Das politisch rechts stehende Bildungspublikum hat seit dem Krieg Richard Wagner zu seinem speziellen Kunst- und Kulturgott erhoben.“ Der jüdische Arzt Max Nordau bringt das Wort „Entartung“ ins Spiel: „Der eine Richard Wagner ist allein mit einer größeren Menge Degeneration vollgeladen als alle anderen Entarteten zusammengenommen, die wir bisher kennen gelernt haben.“ Diese zeige sich in seiner Geistesverfassung, seinem Verfolgungs- und Größenwahn.

Auch eher ungewöhnliche Texte hat die Urenkelin des Komponisten zusammengestellt: Ernst von Pidde beispielsweise verfasst 1968 das Buch Richard Wagners Ring der Nibelungen im Lichte des deutschen Strafrechts und beleuchtet die einzelnen Tatbestände sowie das zu erwartende Strafmaß, der Humorist Loriot ist mit seinem Bayreuther Pausengespräch vertreten, und sogar vom spanischen Maler Salvador Dalí ist ein kleines Theaterstück abgedruckt.

Nike Wagner geht auch auf das Thema „Wagner aktuell“ ein. Zu Wort kommt beispielsweise Igor Boleza: „Wir sowjetischen Musiker schätzen im Kunsterbe Wagners vor allem diese Wesenszüge, welche die Bedeutung des Bayreuther Meisters als eines der größten deutschen Komponisten bestimmen. Den schöpferischen Weg Wagners betrachtend, verstehen wir auch die Kompliziertheit dieses Weges und die Widersprüche, die durch den Schöpfer des Ring der Nibelungen entstanden.“ Der Dirigent Daniel Barenboim versorgt den Leser mit Informationen zur schwierigen Wagner-Rezeption in Israel. Und Hans Neuenfels schreibt ganz plastisch über eine Begegnung mit dem Altmeister: „Ich sprach lange und intim mit ihm…Er machte mich fürsorglich darauf aufmerksam, daß ich zu viel tränke und vor allem zu viel rauchen würde..“

Die Herausgeberin beschließt ihr Buch mit dem Kapitel Denkmalschutz für Wagner, in dem sie unter anderem die FAZ-Musikredakteurin Julia Spinola zu Wort kommen lässt. Die äußert sich über das „Wagner-Theater heute“ und setzt sich mit der Bayreuther Festspielgeschichte nach 2008 auseinander. Mit dem nachdenklichen Satz: „Das nach wie vor revolutionäre ästhetische Programm Wagners verkommt zu einer bloßen Verwaltungsfrage. Das aber kann es nicht sein, wenn Richard Wagners Festspiel-Idee mehr bleiben soll als eine Touristenattraktion“ geben die Musikredakteurin einerseits und die Herausgeberin andererseits der Leserschaft und vielleicht auch den Enkelinnen Richard Wagners einen Denkanstoß mit auf den Weg.

Insgesamt lässt sich das Buch sehr gut lesen. Da es übersichtlich in Kapitel gegliedert ist und keine zeitliche Chronologie hat, kann man einfach die Textstellen lesen, die einen interessieren, ohne dass man etwas verpasst. Bei weit über 300 Seiten ist das auch ganz angenehm. Schade, dass die Autorin nicht direkt neben die jeweiligen Überschriften geschrieben hat, von wann die Texte stammen, dazu muss man in das Autoren- und Textverzeichnis auf den letzten Seiten des Buches blättern.

Agnes Beckmann, 12.3.2013