Archiv     Kommentare     Dossier     Backstage     Kleinanzeigen     Links     Buch/DVD     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
 Partner von DuMont Reiseverlag  
 
     

DVD-Besprechung

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

28.12.2011


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

zurück       Leserbrief

Das Scheitern des Kapitalismus

Wohl kaum eine Oper könnte in dieser Zeit aktueller sein, derzeitige Systeme stärker in Frage stellen, als die aktuell vorgelegte DVD-Fassung. Dabei handelt es sich um die Aufzeichnung einer Inszenierung von den Salzburger Festspielen 1998. Regisseur Peter Zadek zeigt eine vergleichsweise brave Fassung, die sich stark am Brechtschen Theater orientiert. Richard Peduzzi baut die anfangs leere Bühne analog zum Aufstieg der Stadt Mahagonny auf, bis schließlich rechts und links haushohe Fassaden auf die Prosperität des Systems verweisen, ehe es zum Zusammenbruch kommt. Norma Moriceau kleidet die Akteure stereotyp im Stil der amerikanischen 1920-er Jahre. Sofern nicht gleich ganz auf Kostüme verzichtet wird. Zadek lässt den Herrenchor schon mal mit entblößtem Oberkörper auftreten, schickt zwischenzeitlich unbekleidete Damen auf die Bühne, um die käufliche Liebe zu propagieren. Spektakulär ist das nicht, die beiden Auftritte fügen sich in das Gesamtgeschehen ein, die Kamera bleibt distanziert. Dominique Bruguiere nimmt seinerseits wenig Rücksicht auf die Kamera, und so bleibt manche Szene im Halbdunkel.

Den Protagonisten kann’s egal sein. Zweieinhalb Stunden begeistern sie das Publikum. Gwyneth Jones zeigt die Leokadja Begbick als hartherzige, gewinnorientierte, unbarmherzige ältere Dame, die die stimmlichen Herausforderungen überwiegend mühelos meistert. Ihre Mitstreiter, Roy Cornelius Smith als Fatty und Wilbur Pauley als Trinity Moses, spielen und singen rollenadäquat, bleiben dem Assistentenstatus treu. Wer bei Jenny Smith ein junges Mädchen erwartet, wird von Catherine Malfitano überrascht, dann aber begeistert von ihrer Spielfreude und der tadellosen Bandbreite ihres Soprans. Hervorragend besetzt ist auch Jimmy Mahoney mit Jerry Hadley, der selbst in der Nahaufnahme eine gute Figur macht und mit seinem Tenor auch im raschen Wechsel von Sprechen und Singen brilliert. Die Freunde Mahoneys – Udo Noldorf, Dale Duesing und Harry Peeters als Jake Schmidt, Pennybank Bill sowie Alaska Wolf Joe – überzeugen ebenfalls in jeder Hinsicht. Annett Rennefeld gibt die Erzählerin unaufgeregt und auf den Punkt, Brecht hätte seine Freude an ihr gehabt. Leider wird sie weder auf dem Cover noch im Begleitheft erwähnt. So wird ihr Auftritt zur angenehmen Überraschung.

Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in der Einstudierung von Winfried Maczewski begeistert überwiegend durch Präzision, Lebhaftigkeit und Spielfreude.

Dennis Russell Davies gelingt es mit dem Radio Sinfonieorchester Wien, Weill-typischen Klang zu erzeugen, wenn auch die Bläser sich mitunter arg schrill aus dem Geschehen hervorheben.

Weniger eindrucksvoll als die Leistungen auf der Bühne ist die Kamera- und Tonarbeit unter Leitung von Brian Large. Die Wechsel zwischen Totale und Nahaufnahme wirken ebenso wie Schwenks und Zooms eher beliebig. Häufig wird einer Nahaufnahme der Vorrang auch dann gegeben, wenn die Handlung auf der Bühne voranschreitet, so dass die Übersichtlichkeit leidet. Erfreulich ist, dass Large immer eine gesunde Distanz zu den Personen hält, die so zwar detailreicher als vom Zuschauerraum erkennbar, aber nicht anatomisch seziert werden. Bei den Mikrofonen wird gespart, was zu unangenehmen „Löchern“ in der Klangübertragung führt. Gerade bei einer nicht ausgereiften Klangqualität wären deutsche Untertitel hilfreich, die aber sucht man zwischen den englischen, französischen und niederländischen Untertiteln vergebens.

Cover und Begleitheft der DVD deuten darauf hin, dass eine internationale Vermarktung angestrebt ist. Zumindest ist das Cover in englischer Sprache gehalten, das Begleitheft in drei Sprachen, wobei der deutsche Text erst im letzten Drittel nachzulesen ist. Dementsprechend fallen die Begleitinformationen eher mager aus, was auch die miniaturisierte Schriftgröße nicht zu ändern vermag. Menschen, die an einer Oper auch das detaillierte Programmheft schätzen, werden enttäuscht sein.

Das Publikum, das zu Beginn und zu Ende, ansonsten nur in einer Szene, in der sich Jerry Hadley in den Zuschauerraum bewegt, zu sehen ist, feiert die Akteure mit stehenden Ovationen, der Auftritt Zadeks wird nicht gezeigt. Ohne Geld geht gar nichts, und wenn darüber Menschen zu Tode kommen – die Botschaft des Werks sollte uns gerade heute nachdenklich stimmen und damit über kleinere Unzulänglichkeiten einer mehr als ein Jahrzehnt alten Aufnahme gnädig hinwegschauen lassen.

Michael S. Zerban

 

 

Fotos: ORF, Ali Schafler