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Kultur: Hilf dir selbst
Die Autoren formulieren knapp, nassforsch und provokant, im Kultursektor gäbe es „von allem zu viel und überall das Gleiche“. Wer dies in Zeiten behauptet, in denen zwischen Hamburg und München, zwischen Berlin und Köln über die Kulturetats der Kommunen gestritten wird und immer neue Kürzungsmodelle erfunden werden, spielt mit dem Feuer, verfolgt eine politische Absicht oder – hat keine Ahnung.
Zumindest Ahnungslosigkeit kann man den vier Autoren nicht unterstellen: Mit dem Professor für Soziologie Dieter Haselbach, dem früheren Direktor der Schweizer Stiftung „Pro Helvetia“ Pius Knüsel, dem Ministerialbeamten und Professor für Kulturmanagement Stephan Opitz und dem Dramaturgen und Professor Armin Klein sind die wichtigsten Kulturbereiche kompetent vertreten – eigentlich. Das Autorenteam rechnet mit dem öffentlich geförderten Kulturbetrieb in Deutschland ab. Es blickt nach Österreich, in die Schweiz und ins weiter entfernte Ausland und scheut sich nicht, manch lieb gewordene Kultur-Kuh genussvoll zu schlachten. Haselbach et al. legen „eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention“ vor und gießen ihre ätzende Kritik über den öffentlich geförderten, subventionierten Kulturbetrieb. Sie sehen diese „Kulturpolitik am Ende“, High noon für „High Culture“. Sie stellen sich und der Kulturpolitik die provokante Frage: „ Wo ist der Diskurs, der in der Kulturpolitik die Ziele benennt, die eine Abwägung zwischen Sparen oder Nichtsparen oder Draufsatteln erst ermöglichen?“ Sie sehen einen Autoritätsverlust bei Kultur, Presse und Medien und halten dagegen: „Das Glück des Schaffens wie das Glück des Erlebens ist dem Individuum alleine überantwortet, also privatisiert.“ – Aha, daher weht der Wind.
Von Marx über Schiller und Nietzsche, Thomas Mann und Adorno bis zur Enquetekommission des Deutschen Bundestages und unterschiedlichsten Kulturstatistiken haben sie keine relevante Quelle ausgelassen, die Eingeweihten dazu einfällt. Auch in vielen Einzelargumenten, das muss man ihnen einräumen, haben sie sorgfältig recherchiert. Und doch: Über viele ihrer Darstellungen, Urteile und Vorschläge stellt sich beim Lesen zunehmend Ärger ein. Was soll dieser Rundumschlag, diese Destruktion? Was ist schlimm an dem Ziel der Kulturvermittlung, den Bürgern nahezubringen, „verdammt noch mal, das Glückspotenzial der Kunst [zu] genießen“?
Die Analyse der Autoren gipfelt darin, „das Selbstverständnis heutiger Kulturpolitik“ bis hin zur etablierten Kritik (!) darin zu entdecken, dass „nur staatlich geförderte Kunst … wirklich frei“ sei. Während sie einerseits die Kunst dabei ertappen, den Alltag zu „ästhetisieren“, behaupten sie andererseits: „Die Kunst tritt auf der Stelle.“ Ihnen passt nicht, dass „ Wir fördern, was es schwer hat“. Sie greifen zu dem wohlfeilen Argument der „no education“. „ Kulturmanagement verlängert die Didaktisierung des Schulbetriebs in die Kultur… In den Neunzigern dominierte Marketing, heute ist Pädagogik angesagt.“ Sie kritisieren nachhaltig und immer wieder die „Allzuständigkeit der Kultur“. Sie suchen „Raum für unerhörte Gedanken“ und entdecken auf den verschiedenen Problemfeldern kultureller Auseinandersetzungen die ganz normalen Verteilungskämpfe. Die Autoren suchen nach „einer offenen Gesellschaft“, in der sich Kulturpolitik in all ihren Widersprüchen entfalten kann. In der Orientierung an den Paradigmen Mündigkeit, Rationalität, Gleichberechtigung und Widerspruch finden sie Perspektiven einer künftigen Kulturpolitik, die nicht mehr autoritär und anti-emanzipativ ist. Und dann kommt es: „Dazu setzt sie Schwellen der Eigenwirtschaftlichkeit“, erzwingt Nachfrageorientierung und belohnt „kulturelles Unternehmertum“. Die genauere Betrachtung der vorhandenen Angebote führt die Autoren schließlich zum Vorschlag der „Halbierung der kulturellen Infrastruktur“ und zu einer Umverteilung der verbleibenden Ressourcen „hin zu den gesellschaftlich-kulturell produktiven Kräften und Strukturen“, die dann eine offene Gesellschaft dezentral, mobil und digital versorgen. Die europäische Kultur begäbe sich auf den Weg zu „mehr Freiheit vom Staat der mäßigenden Kommissionen“. Großvolumige Überlegungen verschleiern genauere Schlussfolgerungen, bieten aber knackige, provokante Formulierungen, die sich bestens als Zitate für eine Rede gegen die Kulturgesellschaft eignen: „In der Freiheit der Kunst, die zum Schutz vor totalitärer Vereinnahmung in den Verfassungen verankert wurde, findet die mäzenatische Haltung der europäischen Demokratie ihren höchsten Ausdruck.“
Auch die Oper kriegt ihr Fett ab: „Immerhin gibt es jetzt mehr nackte Haut und originelleres Dekor. Doch Oper bleibt Oper. Noch immer ist sie bürgerliche Verschwendung, ein europäischer Potlach.“ Es ist nicht erforderlich, den zahlreichen Einzelanalysen nachzugehen und sie unter Umständen zu entkräften. Wenn dem Leser endlich klar wird, worum es den Autoren geht, erübrigt sich eine Detailargumentation: Aus der Sicht eines neoliberalen Kulturverständnisses, das unsere Kulturinstitutionen und ihre Finanzierung dem freien Markt überantworten will, ergeben sich die detailreich ausgebreiteten Kritikansätze der Autoren quasi von selbst: Kunst, die sich keine Abnehmer schafft, die keinen Marktwert hat, sei gesellschaftlich überflüssig! Sie zu fördern sei reine Geldverschwendung. Es ist noch schlimmer: Öffentlich geförderte Kunst bedeute ihre Versklavung und die Entmündigung ihrer Nutzer.
Nur zwei Gegenargumente seien kurz angeführt: Zum einen unterschlagen die Autoren in ihrer Makrokritik die zahlreichen wirtschaftlichen Mikroeffekte auf lokaler und regionaler Ebene, die von – auch geförderten – Kulturprojekten ausgehen. Zum anderen ersparen sie sich eine soziologisch-kulturpolitische Analyse der Folgen von Schließungen, wenn zum Beispiel die nur öffentlich zu haltenden Kultureinrichtungen etwa im östlichen Parchim, in Bottrop oder in Villingen im Schwarzwald geschlossen würden.
Die Diskussion dieser provokanten Polemik hat inzwischen die Gerichte erreicht, der Deutsche Kulturrat musste Darstellungen korrigieren. Hat das Buch die Diskussion über die Kulturpolitik und ihre Ziele, ihre Formen wirklich angestoßen? Das muss man bezweifeln. Zu holzschnittartig ist die Argumentation, zu weit entfernt vom Kulturalltag sind die Ideen und Vorschläge, zu enttäuschend viele Erfahrungen nach vollmundiger Übergabe von Aufgaben an „freies Unternehmertum“.
Kulturinfarkt? – Keine Sorge: der aufgrund vieler Diagnosen krank geschriebene Patient Kulturpolitik ist weiterhin ganz munter und erfreut sich wachsender Beachtung - auch seiner Schwächen.
Horst Dichanz, 10.9.2012
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