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DVD-Besprechung

Elektra

11.12.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Konzentrierte Einsamkeit

Herbert Wernickes Inszenierung von Richard Strauss‘ Elektra ist ursprünglich für die Bayerische Staatsoper entstanden und in München bereits 1997 zur Premiere gekommen. 2010 ist die Produktion, für die Wernicke selbst Bühne und Kostüme entworfen hat, an die Bühne des Festspielhauses Baden-Baden angepasst und dort in einer vollständig neuen Besetzung zur Aufführung gebracht worden.

Der Inszenierung könnte vorgeworfen werden, es handele sich um Rampentheater. Ein schmaler Streifen am vorderen Bühnenrand taucht zunächst als Spielfläche auf, der Blick auf die restliche Bühne wird von einem riesigen, leicht gekippten schwarzen Quadrat verstellt. Es ist zu ahnen, dass dahinter noch etwas ist, was genau bleibt schemenhaft. Dahinter sind immer wieder Menschen zu sehen, die Aufseherin der Mägde kommt von da hervor, ebenso später Elektras Schwester Chrysothemis. Beim Auftritt Klytämnestras dreht sich das Quadrat schließlich um die eigene Achse, gibt den Blick frei auf eine freistehende große Treppe, in leuchtendes rotes Licht getaucht, darauf Klytämnestra und ihre Gefolgsdamen. Überhaupt ist die Zuordnung der Farben stereotyp, Elektra ist schwarz gewandet, Chrysothemis weiß, Klytämnestra rot, die Herren tragen gehobene Gesellschaftskleidung. Das setzt sie von den eher archetypischen Kostümen der Damen ab, so, als gehörten sie nicht ganz dazu, stünden außen vor. In der Tat aber spielt sich die Geschichte ja wesentlich zwischen Elektra, ihrer Schwester und ihrer Mutter ab. Das sind zutiefst vereinsamte Wesen, die kaum mehr zu Kommunikation untereinander in der Lage sind, sich vielmehr nur noch mit sich selbst beschäftigen. Diese in den Figuren angelegte Statik bringt Wernickes minimalisierte Personenführung jedoch sehr nachdrücklich hervor. Aus der Konzentration auf die Vereinsamung der Protagonisten und das daraus resultierende Phlegma schöpft die Inszenierung ihre Kraft. Bis zum Schlussbild, wenn die Regungslosigkeit aller, Elektras, Chrysothemis‘ und Orests ob der gerade an der Mutter und ihrem Liebhaber begangenen Morde beinahe gespenstisch wirkt.

Die Aufführung wird aber vor allem durch eine exquisite Besetzung getragen. Die vielen kleinen bis sehr kleinen Partien sind durchweg auf hohem Niveau besetzt. Unter ihnen ragt vor allem Andreas Hörl mit einprägsam-markanten Tönen als Pfleger des Orest heraus. Sicherlich, René Kollo kann nicht verbergen, dass der Zenit seiner stimmlichen Möglichkeiten hinter ihm liegt. Dennoch findet er als aalglatter und angemessen öliger Ägisth stimmlich wie darstellerisch in der kurzen Szene zu hörens- und sehenswerter Präsenz. Albert Dohmen verleiht der auch kompositorisch recht statisch angelegten Rolle des Orest würdevoll-profunde Töne, die sich zu markanter Entschlossenheit steigern, den Mord an der Mutter und ihrem jämmerlichen Liebhaber vollziehen zu wollen.

Jane Henschel bedient als Klytämnestra, auch bedingt durch das feuerrote Kostüm und die recht plakativen künstlichen Juwelen, mit denen sie behängt ist, zwar als Darstellerin das allzu übliche Klischee der verrückten Alten; das jedoch fällt letztlich kaum ins Gewicht, da sie mit ihrem glutvoll-leuchtenden Mezzosopran, technisch absolut souveräner Beherrschung der vertrackten Partie und mit einem schier natürlichen wie unerschöpflichen Farbreichtum ihrer Stimme der Figur starkes Profil verleiht.

Ganz in weiß gewandet, vermag auch Manuela Uhl als reine, von zutiefst guten und menschlichen Absichten getriebene Chrysothemis zu überzeugen. Ihr in allen Lagen sicher ansprechender Sopran verfügt nicht über die sonst bei Strauss häufig zu vernehmenden und zu dieser Musik gut passenden silbrig-schimmernden Farben, hat ein eher dunkles, fast erdiges Timbre. Dabei ist die Stimme ganz rund und weich, womit sie einen perfekten Kontrast zu der metallischen Wucht bietet, mit der Linda Watson die Elektra gibt.

Im Mittelpunkt jeder Elektra-Aufführung steht unausweichlich die kraftzehrende und Omnipräsenz erfordernde Titelpartie. Linda Watson sollte die erstmalig 2012 in Wien singen, ist für Baden-Baden wenige Wochen vorher eingesprungen und musste in entsprechend wenig Zeit die Partie bühnenfertig lernen. Ihre Stimme ist sicher Geschmackssache, die Farben häufig schneidend und schrill und einige Spitzentöne nicht immer ganz sicher. Im direkten Vergleich aber zur Brünnhilde, die sie erst jüngst im auf sieben Stunden verkürzten Ring am Teatro Colon in Buenos Aires wieder gesungen hat, kommt sie mit der Elektra hier jedoch wesentlich besser zurecht. Sie gestaltet vor allem mit tragfähigen Piani und einer satten Mittellage immer wieder berührende Momente und kann auch in der noch so hasserfülltesten Geste glaubhaft machen, dass Elektra eine gebrochene, gescheiterte Figur ist. In einem unter den Specials veröffentlichten Interview sagt sie, gerade die sparsame Regie habe ihr die Möglichkeit gegeben, sich hier ganz auf die stimmliche Umsetzung zu konzentrieren. Wer genau hinhört, gibt ihr da gern recht. Nach mehr als zwei Jahren hat sie so die musikalische Sicherheit gewonnen, die ihr in Aufführungen wie der jüngsten neuen Elektra an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf mehr Möglichkeiten als Darstellerin lassen.

Christian Thielemann sorgt mit den Münchner Philharmonikern für einen plastischen, differenzierten Strauss-Klang, der nur an den Stellen dynamisch kräftig zupackt, wenn die Stimmen auf der Bühne schweigen. Thielemann ist ein ausgesprochen aufmerksamer Begleiter, deckt keine Stimme zu, schafft es aber dennoch, dass der Klang des Orchesters an keiner Stelle zu dünn oder schlicht zu wenig scheint. Seinen Ruf, besonders in diesem Repertoire zu den derzeit führenden Dirigenten zu zählen, untermauert er mit dieser Aufführung nachdrücklich.

Der Ton ist insgesamt zufriedenstellend ausgelotet, könnte manchmal die Stimmen etwas präsenter werden lassen. Mit vielen Naheinstellungen holen die Kameras die Protagonisten sehr dicht an die Zuschauer heran, was in dieser Aufführung durchaus seinen Reiz hat, der Gesamteindruck von der Bühnenwirksamkeit dieser Aufführung bleibt da mitunter etwas auf der Strecke.

Das Publikum in Baden-Baden belohnt die Aufführung mit vielen Bravo-Rufen, die für das Ensemble und Christian Thielemann insgesamt völlig berechtigt sind.

Christian Schütte

Fotos: Andrea Kemper