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DVD-Besprechung

Elektra

24.4.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Zwischen Rache und Liebe

Martin Kušejs Inszenierung von Strauss‘ und Hofmannsthals Elektra an der Zürcher Oper stammt aus dem Jahr 2003, die nun bei Arthaus auf DVD veröffentlichte Aufführung ist zwei Jahre danach aufgezeichnet worden.

Kušej, Bühnenbildner Rolf Glittenberg und Kostümbildnerin Heidi Hackl haben einen durch und durch psychologisierenden Zugriff gewählt. Elektra als wildes, unangepasstes Kind, mit lässiger gelber und roter Kapuzenjacke, die so gar nicht in das sonst eher distinguiert-vornehme Ambiente passen will, ist ein Fremdkörper in ihrer Welt. Ein langer, schmal nach hinten zulaufender kahler Raum mit vielen Türen an den Seiten vermittelt zugleich Enge, Unausweichlichkeit und die marode Dekadenz dieses verkommenen Königshofes. Das Leben ist von Sex geprägt, die Mägde sind offensichtlich vor allem Liebesdienerinnen, immer wieder auftauchende Statisten beider Geschlechter stehen für eine Gesellschaft, die an ihrer Übersexualisierung krankt, halbnackte verwirrte Geschöpfe eifern der Titelheldin nach, dieser beklemmenden Spannung ein Ende setzen zu wollen. Die Personenführung ist ausgefeilt, manchmal fast zu überladen – durch die vielen Statisten – aber insgesamt spannend. Kušej vermittelt eisige Kälte, unterstützt durch den Raum und die Kostüme. Lack und Leder für die Mägde, die Diener, die stummen Statisten – unpersönlich und oberflächlich erscheinen alle diese Leute als stereotyp-triebgesteuerte. Die langen wallenden Gewänder für Klytämnestra, das keusche Weiß für Chrysothemis und der etwas überladene Goldpomp für Ägisth wirken dagegen recht klischeehaft. Insgesamt fokussiert Kušej seine Sicht aber ganz auf Elektra, ihren Wahn und ihre Unerbittlichkeit, an ihrem Plan festzuhalten. Voller Trotz und angedeuteter Brutalität, gleichzeitig aber großer Tragik, die berührt und mit Elektra mitfühlen lässt, zeichnet er ein eindringliches Bild dieser Figur. Elektras Rachegelüste für den Mord an ihrem Vater kommen vor allem aus einer Persönlichkeit heraus, die an sich selbst scheitert, das wird hier ganz deutlich sichtbar. Auch Elektra würde gern lieben.

Musikalisch punktet die Aufführung vor allem durch das Dirigat Christoph von Dohnanyis. Differenziert führt er das Orchester der Oper Zürich über alle Hürden dieser monumentalen Partitur, kehrt die schroffen Seiten ebenso hervor wie die zarten Lyrismen und das melodische Pathos. Ein großes Verdienst jedes Elektra-Dirigenten ist es, die Balance zu halten und das Ensemble auf der Bühne nicht zuzudecken, das gelingt von Dohnanyi überwiegend sehr gut.

In der Titelpartie kann Eva Johansson nur bedingt überzeugen. Darstellerisch erreicht sie große Momente. Wie sehr sie zeigen kann, dass Elektra dem Wahnsinn verfallen ist, indem sie einfach nur ihre strahlend blauen Augen weit aufreißt und so einen erschreckend leeren Gesichtsausdruck bekommt, das geht schon unter die Haut. Und dafür verdient die Kameraführung ein großes Lob, so detailliert kann das live im Theater nur von wenigen Plätzen aus sichtbar sein. Stimmlich gerät Johansson jedoch an ihre Grenzen. Sie verfügt über die Töne und hält die Partie bis zum Ende ohne Konditionseinbrüche durch. Was immer wieder unschön auffällt, ist der mangelhafte Vokalausgleich. Ganze Phrasen scheinen auf demselben vokal gesungen, was die Deutlichkeit der Sprache beeinträchtigt und den Ausdruck etwas eindimensional wirken lässt. Zudem sind einige Höhen mit reichlich viel Kraft gestemmt, dadurch sind sie in der Intonation gefährdet. Diese Einschränkungen sind umso bedauerlicher, als Eva Johansson im Grunde über das Potenzial verfügt, die Partie vokal ganz zu erfüllen, einen üppig strömenden, in der Mittellage klar fokussierten Klangstrahl von metallischer Farbe. Es hängt allein an der Souveränität im Umgang mit ihrem Instrument.

Melanie Diener als Chrysothemis gefällt da schon deutlich mehr. Sie singt die lebenshungrige, etwas scheue Schwester Elektras mit weichen Linien, überwiegend guter Artikulation, manchmal eine Spur zu kultiviert, aber im Ganzen mit der vollen Schönheit ihres edlen Soprans. Einige weniger präzise geratene Spitzentöne fallen da kaum ins Gewicht. Marjana Lipovšek bedient als Klytämnestra, das gibt ihr die Regie allerdings leider auch vor, zu sehr das Klischee der durchgedrehten, überspannten Alten. Rhythmisch ist sie nicht immer ganz genau, einige Phrasen sind mehr gesprochen oder gerufen als gesungen. In der Tiefe verfügt sie auch nicht vollends über die abgründigen Farben, die hier so nötig wären. Mit prachtvollem Bass-Bariton, stupender stimmlicher Präsenz und glasklarer Artikulation kann Alfred Muff als Orest hingegen voll und ganz überzeugen. Rudolf Schasching, als Aegisth zur jämmerlichen Tunte degradiert, lässt seinen kernigen Tenor in der kurzen Partie wirkungsvoll klingen. Das übrige Ensemble ist sehr sorgfältig zusammengestellt, besonders die Mägde mit Kismara Pessatti, Katharina Peetz, Iréne Friedli, Liuba Chuchrova und Sen Guo, Margaret Chalker als Aufseherin, Reinhard Mayr als Pfleger des Orest sowie Andreas Winkler und Morgan Moody als Diener.

Die Aufführung in ihrer durchweg fesselnden und psychologisch interessanten Personenführung ist durch viele Naheinstellungen der Kameras fast plastisch greifbar. Totalen gibt es kaum, das ist aber eben wegen der vielen Details auf der Bühne kein Verlust. Überzeugen kann auch der Ton, das Orchester ist offensichtlich etwas in den Hintergrund gestellt, aber nicht zu viel, so dass viele instrumentale Details in Christoph von Dohnanyis Dirigat hörbar bleiben. Schade, dass im Schlussapplaus nach so kurzer Zeit abgebrochen wird und auch vom Publikum hier gar nichts zu sehen ist.

Christian Schütte

Fotos: A. T. Schäfer