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DVD-Besprechung

LA CENERENTOLA

2.1.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Herrliches Märchen statt schnöder Sozialkritik

Der Livemitschnitt einer Aufführung des Teatro San Carlo di Napoli aus dem Teatro Carlo Felice in Genua fesselt vom ersten Moment. Rossinis unterhaltsame Oper La Cenerentola kommt ausschließlich hervorragend gesungen und gespielt daher, die Kostüme bieten den Augen eine Menge hübscher Ziele. Indem Regisseur Paul Curran die Oper ins Jahr 1912 verlegt, wirkt sie zeitlich näher, greifbarer. Trotzdem bleibt Currans gelungene Inszenierung weiterhin märchenhafte hundert Jahre entfernt, lässt aber Raum für ein blitzblank poliertes Automobil aus dieser Zeit, mit dem La Cenerentola zum Ball beim Prinzen fährt. Claudio Schmids Lichtdesign sorgt für Tiefe, Atmosphäre und Wandel. Das Bühnenbild Pasquale Grossis ist funktional und wandlungsfähig, besticht aber nicht durch originelle Einfälle.

Über allem strahlt Mezzosopranistin Sonia Ganassi als Cenerentola. Mit sehr sicheren Koloraturen, warmer Tiefe und sehr beeindruckender Höhe gefällt sie ungemein und zieht schon mit ihren ersten Tönen Ohren und Augen, trotz des betont schäbigen Gewandes, auf sich. Die Stiefschwestern Clorinda, gesungen von Carla di Censo, und Tisbe, von Paola Gardina gegeben, gurren angestrengt kokett und kein bisschen erotisch in weitaus größerer Höhe herum - tatsächlich in beiden Fällen sehr gut gesungen und geschauspielert. Alfonso Antoniozzi überstrahlt als etwas verschusselt angelegter Don Magnifico mit seinem modulationsfähigen, technisch sicherem, kräftigen Bass und echtem Gespür für delikate Übertreibungen die Szene. Ein Bilderbuch-Buffo-Bass, dem Rossini einfach liegt. Zaira De Vincentiis versorgt alle mit wunderbaren, am frühen 20. Jahrhundert orientierten Kostümen, die immer nur genau eine Nuance übertreiben angelegt sind. So ist auch Don Magnifico mit den nur leicht zu kurzen Hosen ein Hingucker. Antonino Siragusa als Don Ramiro strahlt flexibel und brillant, herrlich anzuhören. Marco Vinco als Dandini und Simon Orfila als Alidor komplettieren die Solisten - beide ausgezeichnet besetzt.

Dirigent Renato Palumbo achtet auf Präzision und differenzierten Klang, sorgt für steten Fluss und ausgereizte Dynamik mit atemberaubenden Crescendi. Dabei bleibt jedoch alles musikalisch schlank, fließend und geschmackvoll. Orchester und Chor des Teatro Carlo Felice - letzterer einstudiert von Ciro Visco - zeigen sich, wie alle anderen, von der besten Seite. Die vielen herausragenden Einzelleistungen der Bläser sind ein dickes Extralob wert.

Der Ton der DVD ist fast schon zu gut ausbalanciert, manchmal ist weniger Nachbearbeitung authentischer. Die Kamera bleibt immer dicht dran, wenn auch aus verschiedenen Perspektiven. Manches Mal ein wenig zu dicht, wo man sich denn auch mal eine Totale gewünscht hätte. Und ein schneller Schnitt ist modern, aber nicht immer angebracht. Insgesamt kann das aber den Gesamteindruck nicht trüben.

Mehr Märchen als latente Sozialkritik, gekrönt von einem glücklichen Ende - große Oper statt Regietheater mit Musik. Am Ende darf geklatscht werden - das Publikum in Genua applaudiert reichlich und begeistert. Ein grandiose Inszenierung, die auch auf DVD zauberhaft gut ankommt und einen schönen Opernabend im heimischen Ambiente, vielleicht mit guten Freunden, garantiert. Das kurze, gut recherchierte Beiheft kann da sicher helfen.

Heike Eickhoff

Fotos: Jacopo Morando