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DVD-Besprechung

The Verdi Opera Selection - Volume 1

4.4.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Der Gegensatz als Zugewinn

Zum Verdi Jubiläumsjahr 2013 hat Arthaus Musik mit der vorliegenden DVD-Box drei Live-Mitschnitte herausgebracht, die alle für sich genommen einzigartige Zeitdokumente sind. Mit der Live-Übertragung von Il Trovatore aus der Wiener Staatsoper im Jahre 1978 hat Herbert von Karajan ein neues Zeitalter der Opernpräsentation eingeläutet. Klassisch konventionell, optisch wie musikalisch ein Hochgenuss.

Gut 25 Jahre später ist es die Übertragung der ungekürzten, fünfaktigen französischen Original-Fassung des Don Carlos aus der Wiener Staatsoper, von Peter Konwitschny als führendem Vertreter des Regietheaters spektakulär und kontrovers in Szene gesetzt und in dieser Form so noch nie gezeigt. Die Premiere dieser Inszenierung am 18. Oktober 2004 führte zu tumultartigen Zuständen. Weite Teile des Publikums erregten sich fanatisch über die „Schändung“ des dort komplett aufgeführten Don Carlos. Die Aufführung stand kurz vor dem Abbruch. Die vorliegende Aufnahme zeigt eine der Folgeaufführungen in der Premierenbesetzung.

Der Rigoletto aus dem Opernhaus Zürich, live im Jahre 2006 übertragen, ist vor allem in puncto musikalischer und spielerischer Darbietung eine Sternstunde Verdischer Kunst. Drei große Opern, drei große Inszenierungen mit unterschiedlichem Ansatz in einer Edition Das ist das Besondere an dieser Box.

Wie Rigoletto zum Genuss wird

Mit dem Live-Mitschnitt aus dem Opernhaus Zürich aus dem Jahre 2006 ist es gelungen, eine musikalische Sternstunde für die Nachwelt zu erhalten. Dieser Rigoletto beinhaltet alles, was man sich für die Darbietung dieser Erfolgsoper von Verdi wünscht. Spitzensänger, ein italienisches Dirigat par excellence, farbenfrohe Kostüme und ein düsteres Bühnenbild, das die Abgründe und Tiefen menschlicher Beziehungen konturiert. Regisseur Gilbert Deflo hat sein Konzept klassisch angelegt, doch verlegt er die Handlung in die Zeit der Uraufführung des Werkes in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Entsprechend sind die Kostüme der Zeit angepasst, im ersten Akt am Hofe des Herzogs üppig und farbenfroh, ansonsten eher dunkel und unauffällig. Das Bühnenbild zeigt zu Beginn einen herzoglichen Festsaal, im zweiten Bild ein geblümt tapeziertes Zimmer bei Rigoletto daheim, und im Schlussbild eine eher industriell anmutende Szenerie. William Orlandi ist hier als Ausstatter für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich, bestens unterstützt durch eine subtile Lichtregie von Jürgen Hoffmann.

Doch das Großartige an dieser Aufführung ist die musikalische Umsetzung. Allen voran Leo Nucchi in seiner Paraderolle als Rigoletto. Nach seinen über 400 Auftritten in dieser Partie und über 30 Jahren Rollenerfahrung hat er die Figur des Rigoletto so verinnerlicht, dass alle Tragik, alle Verzweiflung so berührend echt wirkt, wie es kaum ein zweiter darstellen kann. Mit seinem markanten Bass-Bariton und seiner unverwechselbaren Gesichtsmimik ist Nucci die Idealbesetzung für diese Rolle. Mit Elena Mosuc als Gilda tritt ihm hier eine Sängerin zur Seite, die ihre Rolle sehr zart und lyrisch interpretiert. Ihr Caro nome ist eine berückende Liebeserklärung, die im feinsten Piano gesungen wird, so dass man als Zuschauer unwillkürlich den Atem anhält. Das Duett Rigoletto – Gilda gehört zu den bewegenden Momenten dieser Aufführung. Piotr Beczala als Herzog begeistert mit seinem jugendlich strahlkräftigen, tenoralen Schmelz. Sein La donna é mobile singt er mit einer nahezu unverschämten Leichtigkeit. László Polgár gibt den Sparafucile fast schon mit aristokratischem Bass, und die Mezzosopranistin Katharina Peetz ist eine Maddalena mit verführerischer Attitüde.

Der Chor ist von Ernst Raffelsberger stimmlich vorzüglich eingestellt, und mit Nello Santi steht ein begnadeter Verdi-Dirigent am Pult. Ihn zu beobachten, wie sehr seine Ausstrahlung, sein ruhiger Schlag, seine Augen und seine körperliche Präsenz das Geschehen leiten, ist ein besonderer Genuss. Santi leitet das Orchester des Züricher Opernhauses dynamisch und differenziert und nimmt sich und das Orchester in den großen Arien und Duetten zurück, stellt die Sänger in den Vordergrund, lässt aber das typische Farbenspiel zum Ausdruck kommen. So und nicht anders muss dieser Rigoletto klingen.

Der Jubel des Publikums, das schon während der Aufführung begeisterten Szenenapplaus spendet, kennt am Schluss keine Grenzen. Und so gelingt diese Aufführung in der Tat zu einer Sternstunde, die für die Nachwelt aufgezeichnet wurde.

Die Inszenierung als Skandal

Dieser Inszenierung liegt die französische, fünfaktige Originalfassung mit Ballettmusik im dritten Akt zugrunde, die Verdi aufgrund der Länge – über vier Stunden reine Spielzeit – immer wieder überarbeitet und gekürzt hat.

Zu Beginn trifft der spanische Infant Carlos im Wald von Fontainebleau auf die französische Königstochter Elisabeth, die ihm als Braut bestimmt wurde, um den Krieg zwischen Spanien und Frankreich ein Ende zu setzen. Da sich die beiden sofort unsterblich ineinander verlieben, scheint das private Glück besiegelt. Dieser sogenannte „Fontainebleau-Akt“ fehlt in der später überarbeiteten italienischen vieraktigen Version.

In der Inszenierung von Peter Konwitschny wird die unbeschwerte Freude dieses jungen Paares deutlich – und dadurch die Prägnanz der später eintretenden persönlichen Katastrophe noch größer. Der alte Philipp II., Vater von Don Carlos, entschließt sich nämlich kurzerhand, Elisabeth selbst zur Frau zu nehmen, die dieser Heirat widerwillig zustimmt, um den geplanten Friedensschluss nicht zu gefährden. Das Glück von Carlos und Elisabeth ist jäh beendet – von da an sind sie Opfer der Politik.

Peter Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker zeigen das auch optisch: Mit einem Mal wird die bis dahin offene Bühne in einen geschlossenen, kahlen Raum verwandelt, der die Lebens- und Liebesfeindlichkeit des herrschenden Systems verdeutlicht. Opfer sind aber im Laufe der Handlung auch die übrigen Protagonisten. Der Marquis de Posa, der seinen verzweifelten Freund Carlos für die Idee eines von Spanien befreiten Flanderns begeistern kann, wird von seinem Gönner Philipp II. auf Druck des mächtigen Großinquisitors aufgegeben und bezahlt seinen politischen Idealismus mit dem Leben.

Philipp selbst leidet an seiner Einsamkeit, die durch die mangelnde Liebe Elisabeths, die Entfremdung seines Sohnes und durch den von ihm mitverschuldeten Tod des Marquis de Posa, seines einzigen Vertrauten, noch verstärkt wird. Prinzessin Eboli, die Mätresse des Königs, liebt Carlos, wird aber selbst nicht wiedergeliebt, schwärzt, von Eifersuchtsattacken geplagt, ihre vermeintliche Nebenbuhlerin Elisabeth bei Philipp an und wird – in dieser Inszenierung – ebenfalls meuchlings ermordet. Aber auch der Großinquisitor ist letztlich Gefangener seines eigenen Machtsystems.

Ein Verlassen des erwähnten geschlossenen Raumes scheint nur im Traum möglich: Konwitschny schuf zur obligatorischen, von Verdi komponierten Ballettmusik im dritten Akt eine von den Sängern der Hauptpartie gespielte und mit dem Titel „Ebolis Traum“ überschriebene Slapstick-Pantomime, die eine Wunschfantasie Prinzessin Ebolis widerspiegelt. In diesem Traum ist sie mit Carlos verheiratet, lebt ein kleinbürgerliches, geordnetes Dasein. Carlos kommt mit Aktentasche brav nach Hause, Eboli ist schwanger, Philipp und Elisabeth kommen zu Besuch, doch die Gans ist verkohlt, aber Posas Pizza-Service rettet die Situation. Mobiliar im Stile der 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts mit Blümchentapete liefert das atmosphärische Ambiente dieser Pseudoidylle. Dabei hat Konwitschny Verdis kaum gespielte Pariser Ballettmusik als genau das harmlose Divertissement bebildert, das sie kompositorisch ist. Die bewusste Komik der Pantomime ist ein Kunstgriff Konwitschnys, um die Tragödie der eigentlichen Oper noch deutlicher hervortreten zu lassen.

Erst ganz zum Schluss wird der geschlossene Raum hingegen tatsächlich auf eine neue Weise geöffnet, und zwar durch den tot geglaubten ehemaligen Kaiser Karl V., der als geheimnisvoller Mönch die beiden Liebenden Carlos und Elisabeth dem tödlichen Zugriff der Inquisition entzieht.

Für den Regisseur verkörpert die Figur Karls V. die Sehnsucht nach dem Besseren und den Beweis dafür, dass es etwas gibt, das stärker ist als die Macht.

Eine besondere Bedeutung hat in dieser Inszenierung das Autodafé im Finale des dritten Aktes. Es stellt im klassischen Sinne die Ketzerverbrennung als Vollstreckung eines Urteils der Inquisition dar. Da es sich vom Text her um ein Volksfest handelt, bei dem zum Gaudium der Schaulustigen Ketzer verbrannt werden und dadurch eine Öffnung zum Volk hin geschieht, entfernt Konwitschny die unsichtbare Wand zwischen Bühne und Publikum, vermischt bewusst Spiel und Leben und vermittelt dadurch noch stärker die Perversität eines derartigen „Volksfestes“. Wenn da für die „feierliche Ketzerverbrennung“ die Opfer durch Gänge und Parkett der Staatsoper geprügelt werden, derweil eine schicke TV-Ansagerin den großen Polit-Kultur-Event sensationsheischend wie beim Opernball ankündigt, König und Hofstaat auf die Bühne ziehen, Flugblätter verteilt werden und der Chor dazu Sekt schlürft und die Musik zur Nebensache gerät, dann sind entsprechende Protestregungen aus dem Publikum nicht weiter verwunderlich.

Musikalisch ist dieses mehr als vier Stunden lange Werk ein Großereignis. In dieser Erstfassung gibt es fast leitmotivische Vernetzungen, die man in späteren Versionen so nicht mehr hört. Ramón Vargas überzeugt als sehr lyrischer Don Carlos mit sicheren tenoralen Höhen und nachhaltigem Spiel. Bo Skovhus gibt den Marquis de Posa als intellektuellen Berater mit baritonalem Schöngesang. Das Freundschaftsduett mit Don Carlos ist in dieser Fassung fast kammermusikalisch mit Donizetti-Eleganz angelegt, ohne etwas von seiner Ausdruckskraft zu verlieren. Alastair Miles überzeugt als unnachgiebiger Philipp II. mit markantem Bass und herrischem Spiel. Iano Tamar ist die einsam liebende Elisabeth mit warmem Timbre und klaren, sicheren Höhen. Nadja Michael begeistert als Prinzessin Eboli mit intrigantem Spiel und dramatischem Mezzo-Sopran. Ihre große Arie O don fatal et détesté ist einer der vielen musikalischen Höhepunkte dieser Aufführung, die Bertrand de Billy souverän leitet.

Das Orchester der Wiener Staatsoper, der hervorragend disponierte und spielfreudige Chor unter der Leitung von Ernst Dunshirn und die Solisten realisieren sowohl das musikalisch-dramaturgische als auch das szenische Konzept. Das Publikum dieses Live-Mitschnittes würdigt dann auch vor allem die sängerische und musikalische Darbietung dieses Abends.

Die Souveränität des Dirigenten

Die vorliegende Aufführung ist eine Live-Übertragung aus der Wiener Staatsoper vom 1. Mai 1978, die der ORF seinerzeit im österreichischen Fernsehen übertrug. Es war Karajans letzter Trovatore an der Wiener Staatsoper, und es war ein ganz besonderer. Karajan führte selbst Regie und ließ die Inszenierung von Günther Schneider-Siemssen für das Fernsehen adaptieren, mit einem für die damalige Zeit enormen technischem Aufwand. In einem Pausengespräch während dieser Aufführung antwortet Karajan auf die Frage, was ihn als Dirigent und Regisseur gerade an Il Trovatore so fasziniere, es seien die archetypischen Situationen menschlicher Leidenschaft, den auf knappsten Raum zusammengedrängten dramatischen Situationen und natürlich Verdis geniale Fähigkeit, in ihrer Prägnanz vielleicht in keiner anderen Oper übertroffenen Fähigkeit, diese dramatischen Situationen in Musik umzusetzen. Karajan hat genau daran sein Regiekonzept abgeleitet. Zusammen mit dem Bühnenbildner Teo Otto und in den farbenfrohen Phantasiekostümen von Georges Wakhewitsch inszeniert er das spanische Drama in einem düsteren Rahmen, in dem sich Verdis glutvoll dramatische Musik voll entfalten kann. Das Lichtdesign von Robert Stangl verleiht der Inszenierung insgesamt einen weichzeichnerischen Ausdruck. Die Personenregie wirkt etwas statisch, doch bilden Musik und gestalterischer Ausdruck eine Einheit, wie man sie selten sieht.

Und es sind die Spitzenkünstler der damaligen Zeit in diesem Werk zusammengekommen. Allen voran der junge Placido Domingo als Manrico. Erst kurz zuvor für den indisponierten Franco Bonisolli eingesprungen, begeistert er das Publikum der Wiener Staatsoper mit seinem kräftigen, voll jugendlichem Schmelz steckenden Tenor. Sein Manrico ist auch in den lyrischen Passagen ein echter Troubadour, dem aber auch die heldenhaften Ausbrüche überzeugend gelingen. Nach seiner großen Arie Ah si, ben mio im dritten Akt gibt es minutenlangen Szenenapplaus, der sich nach der anschließenden Stretta Di quella pira l’orrendo foco zu einem Jubelsturm steigert. Ihm zur Seite Raina Kabaivanska als Leonore.

Sie überzeugt mit wundervollen Piano-Tönen. Ihr Gebet D’amor sull’ali rosee im vierten Akt singt sie voller Innigkeit, so dass man für einen Moment das Atmen vergisst. Piero Cappuccilli als Conte di Luna begeistert mit seinem reinen, edlen Bariton. Seine große Arie Il balen del suo sorriso im zweiten Akt singt er mit selten gehörter Grandezza. Fiorenzo Cossotto gibt die schon fast wahnsinnig gewordene Azucena mit hochdramatischem Mezzosopran in einer körperlich fühlbaren Intensität, besonders stark im zweiten Akt mit der großen Arie Condotta ell’era in ceppi. José van Dam schließlich gibt den Ferrando mit jugendlich wuchtigem Bass.

Helmuth Froschauer hat den Chor der Wiener Staatsoper formidabel präpariert, der berühmte Zigeunerchor zu Beginn des zweiten Aktes Vedi! Le fosche notturne spoglie ist neben den schon erwähnten Arien ein weiterer Höhepunkt dieser Aufführung. Karajan selbst leitet das Orchester der Wiener Staatsoper mit der ihm typischen, fabelhaften Souveränität und Klangdarbietung, die man in dieser puren Form heute fast nicht mehr erlebt. Entsprechend groß ist der Jubel am Schluss der Aufführung. Diese Aufführung ist nicht nur ein großes Karajan-Dokument, sondern ein historisches Zeitzeugnis, das 35 Jahre nach seiner Erstausstrahlung nichts von seiner Faszination und Lebendigkeit eingebüßt hat.

Muss für Opernfreunde

Insgesamt sind diese drei gegensätzlichen Aufnahmen für Opernfreunde ein absolutes Muss, sind es doch einzigartige Aufnahmen und große Dokumente musikalischer und inszenatorischer Meisterwerke. Auch wenn der Mitschnitt von Il Trovatore aus dem Jahre 1978 technisch hinter dem Standard der anderen beiden Aufnahmen bleibt, so hat diese Aufnahme als historisches Dokument großer Musikalität ihren festen Platz in dieser Box. Ein wunderbares Geschenk zum 200. Geburtstag von Giuseppe Verdi.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Arthaus Musik