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DVD-Besprechung

Otello

20.8.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Aus der Not eine Tugend

Ein ganz besonderes Ereignis ist diese Otello-Aufführung aus der Deutschen Oper Berlin, die Arthaus jetzt als DVD herausgebracht hat – das einmalige Gastspiel der legendären Renata Tebaldi am Haus. Nur zwei Mal insgesamt ist Tebaldi in Berlin aufgetreten, das zweite Mal als Desdemona am 1. September 1962. Diese Rolle gehört zu den wichtigsten in ihrem Repertoire, was die Entscheidung erklären mag, gerade damit ihren einmaligen Auftritt an der Deutschen Oper zu bestreiten. Das Haus hat die Sängerin damit indes vor ein nicht unbeträchtliches logistisches Problem gestellt – es hat keine spielbare Inszenierung des Otello gegeben. Die Kulissen der zuletzt am Haus gezeigten haben nicht mehr existiert, für eine eigens aus diesem Anlass beauftragte Neuinszenierung hat vor allem die Zeit gefehlt. Da heißt es also, aus der Not eine Tugend zu machen.

Hans-Peter Lehmann, langjähriger Assistent Wieland Wagners in Bayreuth und später gut zwei Jahrzehnte Intendant der Oper Hannover, bekommt als junger Regieassistent an der Deutschen Oper die Gelegenheit, eine Art Spontaninszenierung für diesen einmaligen Auftritt der Tebaldi zu erarbeiten. Unterstützt wird er vom Ausstattungsleiter des Hauses, Wilhelm Reinking, mit dem zusammen er im Rückgriff auf den Fundus in kürzester Zeit Bühnenbild und Kostüme zusammenstellt. Das Ergebnis ist eine sparsame, aber die Atmosphäre des Stückes gut umreißende Ausstattung. Typische Details wie die Säule mit dem venezianischen Löwen im ersten Akt etwa dürfen dabei ebenso wenig fehlen wie der Zeit des Otello angepasste klassische Kostüme. Licht und Farben der Aufführung lassen sich freilich bei einem schwarz-weiß-Mitschnitt nur schwierig beschreiben. Im optisch also zurückhaltenden, ganz im Dienst der Geschichte gestalteten Gewand bewegt Lehmann den Chor mit großer handwerklicher Routine, ebenso die kleineren Rollen des Ensembles. Die Stars in den Hauptrollen zeigen leider etwas zu viel an starren, stehenden und recht archetypischen Posen. Wobei in der Tat Renata Tebaldi dieses Manko durch eine stimmlich zutiefst emotional bewegende, technisch höchst souveräne und ausgeglichene Darstellung der Desdemona mehr als nur ausgleichen kann. Mit dezentem, aber sehr geschmackvoll eingesetztem Spiel macht sie sich zum Mittelpunkt der Aufführung, ohne sich unnötig in den Vordergrund zu drängen. Der vierte Akt mit einem berückend schön gesungenen Ave Maria gerät zu einem der vokalen Höhepunkte der Aufführung.

Ihr zur Seite gibt Hans Beirer den Otello. Als Darsteller verharrt er allzu oft in konventionellen Posen, wirkt mitunter geradezu distanziert. Mit ebenso strahlkräftigem wie in den leiseren Passagen schön schmelzendem Tenor zeigt er sich in dieser Aufführung allerdings von der besten Seite seines Könnens. Er ist ein gestandener Heldentenor, dem ein gesundes Maß an italienischer Stimmkultur erhalten geblieben ist.

Kurz vor seinem 30. Geburtstag gibt der US-amerikanische Bariton William Dooley mit dem Jago seine erste große Partie an der Deutschen Oper. Er verfügt über eine kräftige, modulationsfähige und ausdrucksstarke Stimme. Dass ihm altersbedingt die für die Rolle notwendige Dämonie noch nicht ganz zur Verfügung steht, mag ihm nicht anzulasten sein. Denn nichtsdestoweniger nimmt er auch als charismatischer Darsteller für sich ein.

Das übrige Ensemble lässt durchweg solide bis sehr gute Leistungen vernehmen, angefangen bei Mario Ferrara als Cassio über Sieglinde Wagner als Emilia sowie Karl-Ernst Mercker als Rodrigo, Ivan Sardi als Lodovico und Pecca Salomaa als Montano.

Den Chor der Deutschen Oper, verstärkt durch Mitglieder der Schöneberger Sängerknaben, hat Walter Hagen-Groll zu einem stimmstarken Kollektiv gefügt. Besonders fallen die Choristen auch deshalb auf, weil sie auf Deutsch singen, das Solistenensemble auf Italienisch. Grundsätzlich sind zu dieser Zeit noch sämtliche Werke am Haus in einer deutschen Übersetzung aufgeführt worden. Als Referenz an den berühmten Stargast Renata Tebaldi, die ihre Partie freilich nur auf italienisch beherrschte, hat hier das Ensemble seine Partien italienisch studiert, was im Ergebnis also zu einer zweisprachigen Aufführung führt – der Chor hat in Otello immerhin gewichtige Passagen zu singen. 

Giuseppe Patané animiert das Orchester der Deutschen Oper zu farbigem, kräftigem Spiel, zum dramatischen Auftrumpfen ebenso wie zu feinen Lyrismen. Der Bühne ist er ein stets aufmerksamer Begleiter, hält die Zügel straff und sicher in der Hand und sorgt insgesamt für eine leidenschaftlich inspirierte Aufführung.

Die Kamera fängt vor allem die Szenen zwischen zwei oder drei handelnden Personen in Naheinstellungen ein, sonst gibt es viele Totalen. Etwas mehr Nähe zum Geschehen wäre wünschenswert gewesen, der Zuschauer wird manchmal ein wenig zu sehr auf Distanz gehalten. Die Tonqualität ist dem Alter des Materials entsprechend zufriedenstellend, angenehm fällt die Betonung der Stimmen auf, die klar im Fokus stehen. Das Orchester ist dagegen stellenweise recht dezent im Hintergrund – so wird das live in der Deutschen Oper nicht geklungen haben, tut der Konservierung auf DVD allerdings in keiner Weise Abbruch.

Schon nach jedem Akt applaudiert das Publikum der Aufführung mit großer Begeisterung, die sich im gezeigten Schlussbeifall noch einmal gewaltig steigert. Nicht unbedingt szenisch, vor allem aber wegen des überragenden Auftritts Renata Tebaldis und eben der Einmaligkeit dieses Ereignisses in Berlin ist dieser Otello eine lohnenswerte Neuerscheinung auf DVD.

Christian Schütte

Fotos: ORF, Ali Schafler