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Buchbesprechung

Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung


Autor



Klaus Lang, Jahrgang 1938, Ton-Ingenieur-Examen in Düsseldorf, Promotion in den Musikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, ab 1970 Musikredakteur beim Sender Freies Berlin. Autor zahlreicher Bücher zur Musikgeschichte.


Kaufinformationen

Klaus Lang:
Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung

Shaker Media

ISBN 978-3-86858-921-4

Paperback, 302 Seiten, 19 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Solidarität besiegt Emigration

Wer über den „Fall Furtwängler“ spricht, meint meist den Film Taking Sides, den István Szábo 2001 auf der Grundlage des gleichnamigen, 1995 uraufgeführten Theaterstücks von Ronald Harwood gedreht hat. Seit dem Film scheint klar: Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler war bestenfalls ein Opportunist des Hitler-Regimes, der sich bei der „Entnazifizierung“ auf das Höhere der Kunst hinausgeredet hat. Szábos Werk ist Fiktion. Doch die Fiktion hat sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingegraben; und eine Vielzahl von Medien hat ihren Teil dazu beigetragen, indem sie beispielsweise gar nicht den Inhalt des Films in Frage stellten, sondern sich allenfalls über die Qualität einzelner Schauspieler ausließen. So war einer der bedeutendsten Dirigenten Deutschlands post mortem mit einem Makel behaftet, der ihn zu Lebzeiten vermutlich noch mehr getroffen hätte als die entwürdigenden Entnazifizierungsverfahren, die er durchlaufen musste.

2008 fand der promovierte Musikwissenschaftler Klaus Lang im Berliner Landesarchiv, „eher zufällig“, wie er sagt, die Entnazifizierungsakte Furtwänglers. Und eine etwas andere Wahrheit, als sie im Film suggeriert wird. Plötzlich war es kein ultraharter Kulturbanause mehr, der Furtwängler einer hochnotpeinlichen Befragung unterzog, um ihn schließlich gebrochen zurück zu lassen, sondern eine Kommission unter Vorsitz und Beteiligung von Menschen, die durchaus kritisch, aber mit dem gebotenen Anstand ein Appellationsverfahren durchführten, aus dem der Dirigent würdevoll und mit Beifall bedacht hervorging.

Bereits 1991 war Lang in seiner damaligen Eigenschaft als Musikredakteur beim Sender Freies Berlin daran beteiligt, Furtwängler-Aufnahmen aus der Alten Philharmonie ins Berliner „Haus des Rundfunks“ zurückzuführen, die er unter 1.500 Original-Tonbändern der ehemaligen „Reichs-Rundfunk-Gesellschaft“ in Moskau-Medwedkowo entdeckt hatte. Wilhelm Furtwängler war ihm also kein Fremder, als er die Akte im Archiv entdeckte. Und ihm war klar, dass ein solches Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden musste. Einer Öffentlichkeit, die kein gesteigertes Interesse an einer Rehabilitation des Ausnahmemusikers mehr hat. Schließlich kennt man ja den Film…

Langs Plan, einen Verlag zu finden, der ein dreibändiges Werk mit dem Original-Protokoll, einem von ihm geschriebenen Stück und einem Essay veröffentlichen will, schlug fehl. Jetzt ist daraus das etwa 300-seitige Buch Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung geworden. Im ersten Teil findet sich das von ihm verfasste Stück, das die Verhandlung anhand des Protokolls – mit dramaturgischen Strichen – wiedergibt. Im zweiten Teil ordnet Lang das Appellationsverfahren in der Schlüterstraße historisch und sozial ein. Trotzdem es fast zwangsläufig zu Redundanzen kommt, mag man sich nicht entscheiden, welcher Teil des Buches der interessantere ist. Zeittafel, Personennachschlagewerk, Register und Buchempfehlungen runden das Werk ab. „Der Kampf gegen den Film ist hiermit eröffnet“, heißt es etwas heißblütig auf der Rückseite des Buches. Bei diesem plakativen Moment bleibt es allerdings, und so liest sich das Werk als spannendes, historisches Dokument.

Bei aller geforderten Objektivität wird klar, wem die Sympathie des Autors gehört. Trotzdem überzeugen weniger die wohlmeinenden Erläuterungen als die von Lang genannten Fakten. Er zeichnet das Bild eines Menschen, der zutiefst davon überzeugt ist, das Richtige zu tun, indem er Deutschland in schwierigen Zeiten nicht verlässt, sondern versucht, mit seinen Möglichkeiten gegen die Schreckensherrschaft Widerstand zu leisten. Dieser Musiker errichtete keine Barrikaden gegen SA-Aufmärsche, sondern versuchte, seinen Einfluss geltend zu machen. Er plante keine Attentate, weil das seiner pazifistischen Auffassung zuwider gelaufen wäre. Stattdessen entzog er sich der Versuche, ihn zu einem Propaganda-Werkzeug zu instrumentalisieren, wann immer er konnte. Er konnte nicht immer. Es ist allerdings bezeichnend, dass diejenigen, die Deutschland verlassen hatten, ihn am heftigsten genau dafür kritisierten. Ein Phänomen, das durchaus nicht nur Furtwängler traf.

Klaus Lang hat mit seiner Arbeit eine Pflichtlektüre geschaffen, die über den Tag und vor allem über die Person hinausreicht. Vielleicht ist die Zeit angebrochen, in der wir nicht mehr krankhaft über Vergangenheitsbewältigung nachdenken müssen, über eine Vergangenheit, in der jeder per se Täter war. Denn es könnte ja durchaus auch Menschen gegeben haben, die einfach nur das getan haben, was ihnen möglich war, um in einer erkalteten Gesellschaft ein wenig Wärme zu verbreiten. Inzwischen ist unsere Gesellschaft ein ganzes Stück weit kälter geworden – da ist es gut, wenn wir Menschen wie Lang haben, die uns daran erinnern, dass Solidarität weiter hilft als die Emigration.

Michael S. Zerban, 7.3.2013