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DVD-Besprechung

Don Carlos

6.10.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Lebendige Erinnerung

Ein interessantes Dokument aus der Opernvergangenheit: Bei dem historischen Don Carlos aus dem Jahr 1965 weht auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin ein anderer Wind. Gustav Rudolf Sellner erzählt eine ganz schnörkellose Geschichte über Monarchen, Väter und Söhne. Der Regisseur lässt seinen Sängern viele ruhige Momente auf der Bühne, die sie charaktergetreu ausfüllen. Die Gänge an ihre Positionen drücken zögernde Sorge oder entschlossene Energie aus. Das mag zuweilen nach Verlegenheitslösungen oder uninspirierter Regie aussehen, doch Sellner fokussiert sich ganz auf die wesentliche Aussage. Auch das Bühnenbild von Wilhelm Reinking bietet davon keine Ablenkung. Es ist geprägt von ganz klaren Strukturen und wenigen Requisiten. Dazu passend ist die Wahl der vieraktigen Version, die ganz auf die romantische Grundstimmung Fontainebleaus verzichtet und sich nur auf Konflikte am Hofe des Königs konzentriert.

Auch musikalisch versucht man – nicht so erfolgreich – eine Art Grundaussage zu finden. Von der Musik bleibt somit nur eine Aufführung von 155 Minuten übrig, die auf eine DVD passt. Diese Kürzungen irritieren stark. Immerhin ist die Tonspur so gut erhalten, dass man ihr sehr gut zuhören kann. Die Sänger sind klar verständlich, nur einmal gibt es bei Pilar Lorengar einen kurzen „Absturz“. In einigen Momenten hängt der Ton dem Bild eine halbe Sekunde hinterher. Das schwarzweiße, etwas grobe Bild lässt farbige Feinheiten auf der Bühne nur erahnen, passt aber zur Grundstimmung der Oper. Die Kameras bieten überwiegend statische Bilder aus schrägen Winkeln oder bestimmende Nahaufnahmen. Das Publikum kann man nur am großzügigen Applaus erahnen, der sich von Szene zu Szene steigert.

Und den hat die musikalische Leistung auch verdient. Gewöhnungsbedürftig ist natürlich die deutsche Sprache, die bei Verdi etwas holprig klingt. Kombiniert mit der Regie könnte man manchmal meinen, ein Schauspiel zu verfolgen, doch da gibt es ja noch das italienisch-feurige Dirigat von Wolfgang Sawallisch. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt mit Verve auf. Tadellos ist der Chor in seiner Einstudierung von Walter Hagen-Groll. Und nicht zuletzt die Sänger geben dem Zuhörer das Gefühl einer leidenschaftlichen, italienischen Oper. Mit Pilar Lorengar erlebt man eine ganz große Dame des edlen Gesangs, ihre Elisabeth ist schlichtweg grandios. Ebenso zufrieden stellt auch Patricia Johnson als Eboli, die hier nicht als intrigante Schurkin, sondern als unglückliche Verliebte gezeichnet wird. Ihr Mezzosopran unterstreicht das. Empfehlenswert ist diese DVD schon allein wegen zweier großer Bässe: Josef Geindls eherne Stimme passt genau zum verschlossenen Charakter des Königs ebenso wie zur Autorität der Figur. Ein Highlight der DVD ist zweifellos die heftig-intensive Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor, dem Matti Talvela seine Prachtstimme leiht. Packender hat man das Kräftemessen zwischen Staat und Kirche kaum erlebt. James King ist als Carlos nicht ganz auf diesem Niveau, und wird zudem noch von Dietrich Fischer Dieskau deutlich übertroffen. Der in diesem Jahr verstorbene Bariton zeigt sich mit dem Marquis di Posa in Höchstform, verbindet Text und Musik zu einer – teilweise auch deklamierten – Einheit. Dazu kommt seine elegante, ausdrucksstarke Bühnenerscheinung. Selbst im schwarzweißen Bild kann man sich seinen glühenden Blicken kaum entziehen. Wer nicht das Glück hatte, diesen Künstler noch live zu erleben, kann sich mit dieser DVD eine lebendige Erinnerung zulegen.

Christoph Broermann

Foto 1: Deutsches Theatermuseum
München/Archiv Heinz Köster
Foto 2: Harry Croner/Stiftung
Stadtmuseum Berlin