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DVD-Besprechung

Wiener Staatsoper - live

9.7.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Repräsentative Stücke aus einem großen Haus

Es hat einen ganz besonderen Reiz, wenn man Produktionen aus der Wiener Staatsoper, die man selbst gesehen hat, Jahre später wieder auf DVD erleben kann. Die vorliegende DVD-Box, die bei Arthaus Musik erschienen ist, gibt einen kleinen, aber qualitativ repräsentativen Ausschnitt aus dem riesigen Repertoire des führenden, österreichischen Opernhauses von drei erfolgreichen Produktionen, wobei die beiden letzteren immer noch in diversen Besetzungen auf dem Spielplan stehen: Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni, Giuseppe Verdis Simon Boccanegra und Jules Massenets Werther. Allgemein lässt sich anmerken, dass die Qualität der Aufführungen sowohl szenisch als auch musikalisch als außergewöhnlich einzustufen ist. Die Bildregien sind in allen Fällen immer am Brennpunkt des Geschehens. Meist punktgenau werden viele Details in Großaufnahme von der ruhigen Kameraführung besonders oft eingefangen und damit durch anschauliche Mimik und Gestik die Gefühlswelt der Protagonisten offengelegt. Die Tonqualität ist gut, meist sogar außergewöhnlich.

Ziemlich konventionell wirkt die aus 1999 stammende Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni, die damals von der Staatsoper im kleineren Theater an der Wien aufgeführt wurde. In den sehr ästhetischen, in Blautönen gehaltenen Kulissen von Nicola Rubertelli mit vielen Treppchen und einer erhöhten Terrasse mit verschiebbaren Wänden, was den Szenenwechsel beschleunigt, läuft der Plot in bewusst kitschig überzogenen Gewändern von Zaira de Vicentiis wie geschmiert und ohne Experimente hart am Libretto ab.

Carlos Álvarez fehlt als Titelheld etwas die erotische Triebkraft. Dafür gestaltet er ihn sängerisch edeltimbriert und elegant. Ildebrando D’Arcangelo, der auf der Bühne schon längst den Don Giovanni singt, ist ein spielfreudiger, kernig singender Leporello. Michael Schade weiß die Arien des Don Ottavio mit seinem wunderbaren hellen Tenor innigst zu gestalten. Dalla sua pace – die silbernen Töne von anrührender Schönheit werden zum Ereignis. Franz-Josef Selig ist ein imposanter Komtur. Lorenzo Regazzo ist ein exzellenter Masetto in der Darstellung, sängerisch kämpft er jedoch mit seiner Intonation. Adrianne Pieczonka, mittlerweile längst ins dramatische Fach gewechselt, gibt eine ausdruckstarke, schönstimmige Donna Anna. Anna Caterina Antonacci ist eine passable Elvira, Angelika Kirchschlager eine süße Zerlina. Riccardo Muti und das Orchester der Wiener Staatsoper musizieren hochdifferenziert mit wunderbar lyrischen Momenten wie dramatischen Ausbrüchen und reizen alle Stimmungen wie auch das erotische Feuer so richtig aus.

Simone Boccanegra ist vom Handlungsablauf vielleicht Giuseppe Verdis komplizierteste Oper. Das krause Libretto von Arrigo Boito um Betrug, Machtgier und zu spät erkannten Familienbanden strotzt ja auch nur so von Ungereimtheiten. Wird aber das reife, fast ohne Ohrwürmer auskommende Werk von einem Regisseur vom Kaliber eines Peter Stein 2002 in Szene gesetzt, wirkt es logisch und nachvollziehbar.

Der deutsche Regisseur erzählt die Geschichte mit einfachsten und sparsamsten, aber sehr stimmigen Mitteln: Wenige verschiebbare, praktikable Kulissen, dunkle Lichtstimmungen, oft nur Lichtkegel, aber perfekt ausgeleuchtet, Kerzen und Fackeln, das Bühnebild stammt von Stefan Mayer, die Kostüme von Moidele Bickel. Stein vertraut ganz auf das Effektvolle der düsteren Handlung und bringt sie mit großem Einfühlungsvermögen auf die Bühne. Die konfliktreichen Massenszenen könnten vielleicht etwas effektvoller und weniger konventionell sein. Die intimen Momente, wie die Erkennungsszene von Vater und Tochter oder der Tod des Dogen von Genua zeigen doch die hohe Kunst der Menschenführung.

Dabei wird er von einem nahezu ausgezeichneten Ensemble unterstützt: Thomas Hampson ist ein ungemein präsenter Titelheld, der nicht so sehr auf kraftvolle Töne, sondern mit seinem kostbaren Bariton wie ein Liedinterpret auf feinschattierten Schöngesang mit liebevollen Zwischentönen setzt. Sein beinahe ebenbürtiger Gegenspieler ist Ferruccio Furlanetto als bühnendominanter Fiesco. Nur selten etwas brüchig klingend, kommt sein prächtiger Bass wunderbar zu Geltung. Schönstimmig ist Boaz Daniel, der die Rolle des Bösewichts Paolo mit großer vokaler Präsenz und darstellerischer Dämonie erfüllt. Kraftvoll und sicher ist Miroslav Dvorsky als Gabriele Adorno. Eine Enttäuschung in der Rolle der Maria/Amelia ist hingegen Christina Gallardo-Domas, die zwar alle Töne, auch die Spitzen mit phänomenaler Sicherheit singt, deren teils vibratoreicher Sopran aber kaum zu einer Differenzierung fähig ist und ein wenig seelenlos klingt. Mit voller vokaler Präsenz ist der Staatsopernchor in der Einstudierung von Ernst Dunshirn zu vernehmen.

Bei dem wunderbar disponierten Staatsopernorchester unter Daniele Gatti blüht das Werk nur so auf. Vielleicht wirken manche Farben des Werkes etwas dumpf, so werden doch alle Feinheiten der Partitur ausgeleuchtet. Herrliche Schattierungen im Pianobereich sind ebenso zu erleben wie wilde Eruptionen. Seltsamerweise wird der Dirigent weder am Pult noch am Schlussapplaus von der Kamera eingefangen.

Regisseur Andrei Serban und sein Ausstatter Peter Pabst verlegen die Handlung des Werther, eine Produktion aus 2005, mit entsprechenden Kostümen in die 50-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Warum, wird eigentlich nie so richtig klar. Dominierend in dem Einheitsbühnenbild steht in der Mitte ein weit ausladender Mammutbaum, der durch seine Blätter die Jahreszeiten widerspiegelt. Unter ihm und in ihm, durch einen Steg ist er begehbar, läuft das tragische Zieldrama ab. Entsprechend der Zeit ist auch das Mobiliar. Da sieht man eine Hollywoodschaukel, Plastikstühle, alte TV-Geräte. Der Regisseur punktet mit detaillierter und verspielter Personenführung, durch die bewegende, vor allem im letzten Bild packende Momente entstehen.

Sichtlich wohl fühlen sich die Sänger bei dieser Produktion und singen genauso: Elina Garanca, die nicht nur fabelhaft aussieht und wie Grace Kelly hergerichtet ist, singt die Charlotte betörend, mit feinstem, sanften und innigen Ausdruck. Sie kann ihre unterschiedlichsten Gefühlsregungen, ihr Changieren zwischen Sehnsucht und Zerrissenheit auch szenisch bestens artikulieren. Marcelo Alvarez, zum damaligen Zeitpunkt in stimmlicher Topform, ist ein anfänglich darstellerisch etwas ungelenker Titelheld, der sich im Laufe des Abends immer mehr steigern kann und intensiv leidet. Mit viel Schmelz, lyrischer Emphase, warm leuchtendem Material und absoluter Höhensicherheit singt er den unglücklich Verliebten. Adrian Eröd ist ein nobeltimbrierter, zynisch, kalt und unsympathisch gezeichneter Albert. Ileana Tonca singt eine mädchenhafte, Sophie. Auch die vielen kleineren Rollen agieren ohne Makel. Homogen singt der von Ernst Dunshirn einstudierte Chor des Hauses.

Dass diese neue Produktion ein musikalisches Ereignis wurde, verdankt sie in erster Linie dem Mann am Pult. Philippe Jordan vermeidet, alles Süßliche der Partitur zu betonen. Statt üppigem Sound und starkem Parfüm erlebt man einen eleganten, schlanken, analytischen Klang mit allen erkennbaren Strukturen und sensibler, fassettenreicher Differenziertheit, vor allem bei den teils extrem ausgereizten Piani. So wie er alle Phrasen behutsam auskostet, so behutsam und rücksichtsvoll geht er auch mit den Sängern um.

Die Box mit den 3 DVDs ist sehr anschaulich und optisch schön ausgestattet. Das mehrsprachige und sehr übersichtliche Begleitheft bietet umfassende, wissenswerte Informationen über alle Opern.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Arthaus