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DVD-Besprechung

Die Walküre

1.11.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Nur musikalisch dramatisch

Arthaus setzt nach dem Rheingold die Veröffentlichung von Wagners Ring des Nibelungen aus der Mailänder Scala fort. Regisseur Guy Cassiers setzt in der Walküre sein recht beliebiges Ausstattungstheater fort, diesmal allerdings ohne die Tänzer, die im Rheingold die Personenführung von Cassiers ersetzten. In der Walküre kann man immerhin in diesem Punkt eine kleine Verbesserung vermerken, so dass sich ein Minimum an Kommunikation auf der Bühne abspielt. Das betrifft vor allem den ersten Akt und lässt dann zunehmend nach. Am Ende des zweiten Aktes zögert Cassiers das Aufeinandertreffen von Siegmund und Hunding so lange heraus, bis Wotan das Schwert Siegmunds kaputt gemacht hat, und man so nicht in die Verlegenheit kommt, einen Bühnenkampf inszenieren zu müssen. Das Bühnenbild von Enrico Bagnoli führt die Zuschauer in eine andere Welt, durchaus passend zur Handlung der Walküre, deren Familiendrama nicht direkt mit dem Kampf um den Ring in Verbindung gebracht wird. Seine kalte Marmorlandschaft ist verschwunden und hat einer abstrakten, dunklen Welt aus Natur und Krieg Platz gemacht. Leider ist das so unglücklich entworfen, dass es aussieht, als würde der gesamte erste Akt vor Hundings Haus stattfinden und nicht darin. Im ersten Akt schwebt eine kleine eiserne, sich ständig drehende Weltkugel am Rand der Szene, die sich in der ersten Hälfte des zweiten Aktes in großer Form als Metapher für Wotans Weltenplan auf der Bühne wieder findet. Mit einem Wink bringt Wotan, der bei ihr wie an einer Bushaltestelle steht, sie zum Anhalten, wenn er sein Ende ersehnt.

Ein interessantes Detail, das leider völlig allein für sich steht, ist der Wald des zweiten Aktes, der sich bei der Todesverkündigung in die berühmten herablaufenden Zahlen- und Buchstabenreihen aus den Matrix-Filmen verwandelt. Der Feuerzauber, der am Ende der Oper Wotanstochter Brünnhilde in ihrem Schlaf beschützen soll, kann dagegen nicht überzeugen. Zwar ist es dem Regieteam hoch anzurechnen, dass es nicht der üblichen Form aus Rauch und Lichteffekten verfällt und stattdessen eine schlichte Lösung sucht. Doch die roten Glühbirnen, die sich über die verbannte Walküre hinabsenken, erinnern lediglich an die Wärmelampen in einem Terrarium. Ebenso unglücklich wirken am Bildschirm die Kostüme von Tim van Steenbergen, der den Figuren wohl gerne etwas mehr Masse gibt. Brünnhildes Kleid scheint in seiner Schleppe noch fast einen ganzen Pferdekörper nachzuziehen, und Wotan trägt im letzten Akt einen buckelartigen Rucksack mit sich herum. Bei allen Einschränkungen ist immerhin erfreulich, dass die Inszenierung der Musik und ihrer Erzählstruktur nicht zuwiderläuft, sie aber auch nie wirklich aufgreift.

Bildregisseur Emanuele Garofalo schickt seine Kameras wieder auf die Suche nach sehenswerten Details, was mithin auch die optischen Unstimmigkeiten offenlegt. Aber da ist ja auch noch die rollenerfahrene Waltraud Meier, die sich als Sieglinde einmal mehr in Höchstform befindet und somit zu einer gut genutzten Zielscheibe der Kamera wird. Sie fiebert im ersten Akt regelrecht mit und erlaubt sich sogar kurze Zwischenrufe. Die Sängerin besitzt eine körperliche Präsenz, die ansonsten nur der stimmlich sehr raue John Tomlinson aufbieten kann. Körperlich, mimisch und stimmlich ist Meier in Bestform. Ihre etwas kurze Tiefe kompensiert sie mit strahlenden Höhen und leidenschaftlich ausgefüllten Legatobögen. Ihren Bühnenpartner Simon O’Neill, der sich nicht ganz so frei auf der Bühne bewegt, reißt sie nebenbei noch mit. O’Neill verfügt vielleicht nicht unbedingt über den schönsten Tenor, doch sein Siegmund hat konstante Leidenschaft und Kraft, und weiß sowohl sanfte „Winterstürme“ als auch „blühendes Wälsungenblut“ eindrucksvoll zu besingen. Auch Vitalij Kowaljow, der von René Pape den Walküren-Wotan übernommen hat, ist mit leicht gaumiger Stimme kein Garant für einen attraktiven Klang. Aber Kowaljow stößt weder in der Tiefe noch in der Höhe an Grenzen, muss selbst bei lautem Orchester nie auf die Stimme drücken und singt zudem die ganze Partie auf diesem Niveau. Das beeindruckt, auch wenn Kowaljow leider nicht erklärt wurde, wie er den scheiternden Gott spielen kann. Nina Stemme darf ihm als Brünnhilde artig zuhören, aber trifft genau diesen jugendlich-überschwänglichen, aber auch zutiefst nachdenklichen Ton, den die heranwachsende Walküre haben sollte. Eine Idealbesetzung! Komplettiert wird das Ensemble durch die fabelhafte Ekaterina Gubanova. Wie schön kann dieser Augenblick sein, wenn Fricka ihrem Mann Wotan ordentlich den Kopf zurechtrückt.

Auch die Schlachtrufe des Walkürenoktetts lassen im Einklang mit dem berühmten Walkürenritt die Wagnerherzen höher schlagen. Der sichtlich gut gelaunte Daniel Barenboim scheint zu spüren, dass seine Interpretation die schwache Szene ausgleichen kann. Der differenzierte Zugriff des Scala-Orchesters auf den langen Abend wertet die Aufführung nicht nur auf. Vielmehr ist es der Musik zu verdanken, dass sich das Drama auf allen Ebenen abspielt: Das Scheitern eines Gottes wirft seine Schatten auf menschliche Existenzen. Im Publikum hört man bei den Aktschlüssen auch einige Buhs, die der Regie zu gelten scheinen. Denn am Ende mischen sich in den zunächst sehr positiven Beifall für das Regieteam wieder die deutlichen Buhrufe. Hochverdient lautstarken, differenzierten Applaus erhalten die Sänger, in dem vor allem die Frauen gefeiert werden. Frenetisch bejubelt werden auch Barenboim und das Orchester. Die musikalische Leistung stimmt in Mailand, die szenische Umsetzung gibt allerdings kaum Hoffnung auf eine Steigerung in den noch kommenden Teilen.

Christoph Broermann

Fotos: Marco Brescia/Rudy Amisano