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 DVD-Besprechung

The Turn of the Screw

7.8.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Angestaubte Geister

Genau wie Benjamin Britten damals, sind Regisseure und Dramaturgen heutzutage vor allem von der tiefenpsychologische Komponente der Erzählung von Henry James fasziniert, die von Britten zur Oper vertont wurde. Das Zwielichtige, Zweideutige der Sprache, später von Brittens Musik in die Tiefe geführt, lassen – wie aktuelle Inszenierungen der Oper zeigen – eine Bandbreite von vielschichtigen Deutungen zu: Möglicher (Kindes-)Missbrauch, pädophile Beziehungen, Geisteskrankheit, reale oder irreale Geistererscheinungen, das Böse, Doppelrollen, Träume oder Verschmelzung von Realität und Fiktion sind nur einige der sich aufdrängenden Interpretationen.

Arthaus hat sich für die erneute Veröffentlichung der Inszenierung Michael Hampes für die Schwetzinger Festspiele von 1990 entschieden. Pünktlich zum 100-jährigen Geburtsjahr Benjamin Brittens eigentlich ein guter Zeitpunkt, um dieses herausragende Werk zu würdigen. Doch bleibt die Frage, warum gerade diese Aufnahme gewählt wurde. Die Inszenierung Hampes, solide und von Kostüm bis zur Maske urkonventionell, wirkt aufgrund des enormen Potenzials, das diese Oper mitbringt, fast langweilig – glücklicherweise ist der Plot und die Musik spannend genug. In vielen Momenten, die aufgrund des musikalischen Reichtums nach entsprechender Szenerie verlangen, herrscht oftmals Bewegungslosigkeit. Das ist natürlich sängerfreundlich – aber auch 1990 war Rampentheater bereits überholt. Wenn in der gruseligen Verführungsszene die Geister Quint und Miss Jessel lediglich ihre Stimmen zum Locken einsetzen und die Kinder sich während der ganzen Zeit kaum vom Fleck bewegen, lediglich sehnsüchtig ihre Arme ausstrecken, könnte man das noch auf die hypnotische Wirkung der Verstorbenen zurückführen. Doch leider wiederholt sich der szenische Stillstand mehrfach. Und wenn Quint statt durch Bühnentechnik „von Geisterhand“ zu verschwinden seitlich aus dem Bild läuft, mag der Eindruck entstehen, die Inszenierung stamme aus den 1950-ern. Hampes Inszenierung muss man jedoch zugutehalten, dass er die musikalischen Feinheiten der lautmalerischen Musik berücksichtigt. Gerade wenn man die Oper noch nicht kennt, kann man für die subtile Deutung Hampes dankbar sein; hat man die Oper jedoch in ihrer vollen Pracht erlebt, ärgert man sich über die vielen verschenkten Möglichkeiten. Hervorzuheben sind die Kostüme von Chiara Donato, die an die Entstehungszeit der Novelle um 1900 angelehnt sind und eine schöne Ausstattung fürs Auge bieten. Allerdings gerät die Maske gerade bei den Geistern sehr sparsam – Miss Jessel ist lediglich bleich geschminkt, Quint scheinbar gar nicht. Die Bühne von John Gunter passt sich ebenfalls der Gründerzeit an und bleibt konventionell und ohne Überraschungen; angedeutet sind das alte Haus mit großen Fenstern, die sich nach hinten öffnen, der See in dem Miss Jessel ertrank – von Flora im Spiel als „Dead Sea“ bezeichnet – der Turm, auf dem Quint das erste Mal erscheint, und der Friedhof.

Der Britten-Experte Stuart Bedford zeigt am Pult nahezu tänzerische Gestik, mit der er die vielschichtige Musik nachzeichnet. Es macht Spaß, ihm dabei zuzuschauen, und auch die Ohren erfreuen sich an den Leistungen des Stuttgarter Radio-Sinfonieorchesters. Besonders überzeugen aber die sängerischen Leistungen des Ensembles, und es wird klar, warum die Veröffentlichung dieser DVD gerechtfertigt ist. Allen voran Helen Field als Governess. Sie gestaltet die Partie mit differenziertem Sopran und darstellerischer Tiefe und geht regelrecht in ihrer Rolle auf. Eine Idealbesetzung, die gerne als Maßstab gelten darf. In nichts steht ihr Menai Davies als Ms Grose nach, deren wuchtiger, runder Sopran sehr beeindruckt. Auch der Tenor von Richard Greager, der die übliche Doppelbesetzung von Prolog und Quint übernimmt, zeigt eine breite Palette an Können, besonders die Läufe gefallen in ihrer Ausgestaltung. Miss Jessel wird von Phyllis Cannan passend zu ihrem dunklen Mezzo interpretiert. Nicht ganz perfekt ist die Rollenbesetzung der Kinder: Samuel Linay als Miles hat zwar einen schönen Knabensopran, der aber in der Tiefe hin und wieder an Grenzen stößt. Flora wird von Machiko Obata gesungen, deren Körpergröße zwar für die Partie geeignet ist, ihre Stimme ist aber einfach zu erwachsen, zu dramatisch für die Duette mit ihrem „Bruder“.

Die DVD liegt ein Booklet bei, das die notwendigsten Informationen zu Komponist und Werk in drei Sprachen bietet. Als Bonusmaterial gibt es auf der DVD eine mit einem sympathischen Dialekt gesprochene und mit Fotos unterlegte Einführung in die Handlung eindeutig älteren Datums. Deutliche Mängel weist die Qualität des Bildes auf, das nicht nur farblich stumpf, sondern auch sehr grobkörnig wirkt. Die Diskrepanz zwischen der Aufnahmetechnik von vor 20 Jahren im Gegensatz zu unserem heutigen verwöhnten Auge ist auffällig. Trotzdem gefällt die Kameraregie von Claus Viller, auch wenn die Überblendungen etwas großzügiger als gewöhnlich ausgefallen. Die Orchestervariationen zwischen den einzelnen Bildern werden mit Aufnahmen des Dirigenten und der einzelnen Instrumente gefüllt, was einen guten Eindruck der Orchestrierung vermittelt. Die Kamera nutzt zwar während der szenischen Bilder oft ihren Zoom, bleibt dabei aber in dankbarer Entfernung, die Bildausschnitte sind geschickt gewählt und sorgsam zusammengestellt.

Weitestgehend gute Arbeit hat der Ton geleistet. Die Sänger sind, bis auf den Knabensopran, deutlich zu verstehen. Trotz der hohen musikalischen Leistung hat das Orchester einen Großteil seiner klanglichen Brillanz eingebüßt, die man wahrscheinlich nur durch ein Live-Erlebnis erreichen kann. Deutlich wird das am Beispiel des Schlussapplauses, der trotz des Erfolges geradezu leise klingt.

Insgesamt liegt hier eine besonders durch die sängerische Leistung sehenswerte DVD vor, bei der man über die technischen und qualitativen Mängel durchaus hinwegsehen kann.

Miriam Rosenbohm