Archiv     Kommentare     Dossier     Backstage     Kleinanzeigen     Links     Buch/DVD     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
 Partner von DuMont Reiseverlag  
 
     

DVD-Besprechung

Tristan und Isolde

28.6.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

zurück       Leserbrief

Licht und Schatten

Fast 20 Jahre nach einer Japantournee der Deutschen Oper Berlin im September 1993 erscheint nun der Mitschnitt einer Aufführung von Wagners Tristan und Isolde in Tokyo im Blu-ray-Disc Format. Diese Aufnahme ist ein Muss für Freunde der Regiearbeit von Götz Friedrich und eine Wohltat für das Auge. Friedrich inszeniert diesen Tristan absolut werkgetreu, verzichtet auf jede intellektuell angehauchte Interpretation und konzentriert sich dabei auf eine subtile Personenregie, in der die Gemütsverfassung der handelnden Personen klar im Vordergrund steht und die Beziehungen der Figuren zueinander ganz klar herausarbeitet. Durch die grandiose Kameraführung gibt es immer wieder Großaufnahmen in den Schüsselszenen, die den Zuschauer daheim auf der Couch ganz dicht in das emotionale Geschehen einbinden. Unterstützt wird dieses Konzept durch ein klassisches Bühnenbild von Altmeister Günther Schneider-Siemssen. Prominent im ersten Aufzug erscheint das Schiffsdeck mit nach oben strebenden Tauen, im großen Liebesduett im zweiten Aufzug ein Rondell mit blauen Blüten, über das sich die Nacht senkt, und im dritten Aufzug ein Felsplateau über dem Meer, wo Tristan in seinem Fieberwahn liegt. Die mittelalterlich wirkenden Kostüme von Inge Justin passen wunderbar in dieses Setting, das durch die sensible und dramaturgisch einwandfreie Lichtregie von Olaf-Siegfried Stolzfuss eine ganz besondere Atmosphäre entwickelt.

Insgesamt ist diese Aufführung mit durchweg älteren Sängern besetzt, was im Gesamteindruck Licht und Schatten hinterlässt. René Kollos Tristan überzeugt durch seine enorme Bühnenpräsenz, seine klare Diktion und Textverständlichkeit und durch eine kluge Krafteinteilung. Sein Tenor klingt unangestrengt, die Höhen sind immer noch von Strahlkraft erfüllt, und sein dritter Aufzug imponiert durch eine starke physische Präsenz. Immerhin ist Kollo zum Zeitpunkt der Aufnahme fast 56 Jahre alt, umso beeindruckender der Auftritt im Herbst seiner Karriere. Das gleiche Kompliment kann man der ein Jahr älteren Gwyneth Jones als Isolde leider nicht machen. Ihre Stimme hat nach fast 30 Jahren im Wagner-Fach nicht mehr die Geschmeidigkeit, die für eine Isolde Voraussetzung ist. Hart in der Deklamation, die Höhen klingen unangenehm schrill mit einem zu starken Tremolo; die Töne werden zu oft von unten angeschliffen, und die Textverständlichkeit lässt zu wünschen übrig. Wer das Werk und den Text nicht genau kennt, muss hier auf die präzisen Untertitel zurückgreifen. Durch ihre enorme Erfahrung in diesem Fach, besonders in dieser Rolle und ihre immer noch beeindruckende Ausstrahlung kann Jones schauspielerisch vieles kompensieren, auch wenn sie sängerisch leider zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Idealbesetzung ist. Bestes Beispiel dafür ist ihr Liebestod, den sie mit großer und anrührender Intensität spielt, aber nicht mehr über die Möglichkeit verfügt, die Töne und Worte mild und leise im Piano verströmen zu lassen.

Robert Lloyd gibt einen gebrochenen König Marke mit wohltönendem schwarzem Bass. Wie er im zweiten Aufzug seine Hände auf Tristans Schulter legt, ist von hoher Emotionalität und rührt den beteiligten Zuschauer. Gert Feldhoff als Kurwenal imponiert mit sonorem und durchdringendem Bariton. Sein Auftritt im dritten Aufzug ist schauspielerisch und sängerisch eine Glanzleistung. Hanna Schwarz ist auf dem Höhepunkt ihres Könnens angekommen und erscheint als Brangäne eine absolute Idealbesetzung in jeder Hinsicht. Ihr warmer und vollklingender Mezzosopran kontrastiert wohltuend zu dem hochdramatischen Sopran von Gwyneth Jones, die ja stimmlich ursprünglich ebenfalls aus dem Mezzo-Fach stammt. Peter Edelmann als Melot steht zum Zeitpunkt dieser Aufnahme dagegen eher noch am Anfang seiner Karriere, und mit seinem Auftritt setzt er ein deutliches Ausrufezeichen. Clemens Bieber als junger Seemann ist da schon Bayreuth-erprobt und gestaltet das á-capella-Lied zu Beginn des ersten Aufzuges mit wohltönendem Gesang. Uwe Peper als Hirte fügt sich ohne Abstriche in das Gesamtensemble ein.

Der Herren-Chor der Deutschen Oper Berlin ist von Hellwart Matthiesen hervorragend eingestellt. Jiri Kout leitet das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit großer Intensität. Schon im Vorspiel kommt der wunderbare, differenzierte und farbenreiche Klangkörper zur Geltung. Das Tempo ist moderat, und die Sänger werden von Kout durchaus freundlich begleitet. Das Publikum ist nicht asiatisch zurückhaltend, sondern bejubelt die Protagonisten frenetisch nach europäischem Vorbild, auch wenn das Fehlen eines kurzen Innehaltens nach dem Schluss irritiert.

Diese Neuauflage im Blu-ray-Bildformat und DTS-HD-Master-Audio besticht durch eine fantastische Bilddarstellung und hervorragend abgemischten Sound. Für Wagner-Puristen, Freunde einer klassisch-konventionellen Inszenierung und für Kollo-Fans ist diese DVD ein wunderbares Geschenk, auch wenn es in der Gesamtbetrachtung Aufnahmen und Mitschnitte gibt, die in der musikalischen Qualität dieser Aufführung überlegen sind.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Kranich Photo