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 DVD-Besprechung

Die Soldaten

9.1.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Monumentale Tragik für eine Gefallene

Lange Zeit galt das Werk als unaufführbar. Denn Die Soldaten, die einzige vollendete Oper von Bernd Alois Zimmermann, bedarf eines immensen Aufwandes. So stehen nicht weniger als 24 Gesangssolisten wie auch 170 Orchestermusiker samt riesigen Schlagwerken, Jazzcombo und desgleichen mehr auf der Besetzungsliste. Zudem bedarf die monumentale Oper eines Simultantheaters gewaltigen Ausmaßes, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig passieren und jeden Regisseur immens fordern. Deswegen dauerten die Geburtswehen dieses Musikdramas auch bis 1965, bis sich die Kölner Oper da ran traute. Mittlerweile steht die Oper nach dem gleichnamigen Stück des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Lenz mit Alban Bergs Wozzeck und Lulu als eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts auf der gleichen Stufe.

2012 gingen die Salzburger Festspiele das Wagnis ein und stemmten das Mammutwerk mit einem phänomenalen Erfolg auf die Bühne, worüber man sich jetzt auf der kürzlich erschienenen DVD von EuroArts überzeugen kann.

Im Kreis gehende Pferde, sich in Albträumen auf Stockbetten windende und zuckende Soldaten: So lässt Alvis Hermanis, der auch sein eigener Ausstatter ist, die tragische Geschichte der brav-bürgerlichen Marie beginnen, die durch lüsterne Avancen eines Offiziers schließlich in den Abgrund der Prostitution getrieben wird. Man erkennt auf hinter- und nebeneinander gelegenen Ebenen eine Unzahl von diversen Schauplätzen. Es sind heruntergekommene Orte einer demolierten Kriegsgesellschaft und demolierter Soldatenseelen, die auch als Vergewaltiger und sich selbst befriedigende Voyeure Täter und Opfer der miesen Verhältnisse sind. Es ist schlichtweg beeindruckend, optisch aber immer wieder überfordernd mit wie vielen Handlungssträngen, Details und Ideen der Regisseur eine wahre Bilderflut und -gewalt auf der riesigen Breitwandbühne produziert. Und hier liegt auch das Problem der Kameraführung, denn für diese ist es unmöglich, diese auch nur ansatzweise vollständig zu zeigen. Auch von der Totale her, geht diese Vielzahl an Details unter. Das gelang einem selbst auch nicht als Besucher einer diese Aufführungen im Festspielsommer 2012.

Hermanis, der seine Inszenierung den in Russland damals inhaftierten und erst kürzlich freigelassenen „Pussy Riot“ widmet, ist ein großer Raumbeherrscher. Er schafft auf der Riesenbühne faszinierende Bilder, beherrscht virtuos die Massenszenen, kann aber auch im feinen Kammerspiel punkten und das Filigrane hervorholen. Extra stark ist etwa jene Szene, wo sich, umgeben von lüsternen Soldaten, eine Stripperin in einem Glaskasten zu atonalem Jazz aalt und später von Marie abgelöst wird, die, wie Vieh eingepfercht, gegen die Glaswände schlägt.

Gesanglich gibt es in der langen Besetzungsliste keine Schwachstelle auszumachen, wobei Laura Aikin alle überragt. Sie spielt und singt eine expressive Marie mit bezwingender Intensität auch mit allen extremen körperlichen Anforderungen. Tomasz Koniecny ist ein kerniger Stolzius, ihr schließlich gedemütigter Verlobter. David Brenna singt in der außerordentlich schweren, ins Heldenhafte gehenden Partie einen höhensicheren Verführer Desportes. Alfred Muff ist ein markanter Wesener, der Vater Maries. Gabriela Benacková als Gräfin sticht mit ihrem stimmgewaltigen Sopran, Tanja Ariane Baumgartner als Charlotte mit dunklem Timbre hervor. Auch die vielen, kleineren Rollen sind makellos besetzt.

Aber all das wäre lange nicht so beeindruckend, wenn da nicht die ordnende und gestaltende Hand von Ingo Metzmacher wäre, jenem hochversierten Maestro für das Moderne, der ungemein souverän die komplexe, vielschichtige und keineswegs spröde Partitur mit akrobatisch kühnen Übersteigerungen aller Konventionen beherrscht und die Massen an Protagonisten und Musiker sicher zusammenhält. Und die Wiener Philharmoniker, die neue Musik nicht unbedingt häufig spielen, folgen ihm bedingungslos und müssen sich mit bis zu sieben synchronen Temposchichten abrackern. Im steten Klangfluss zwischen ruppiger Drastik, aber auch poetischer Klanglichkeit wird die Orchesterrealisierung zum Ereignis!

Dabei gibt es Ton von hoher Brillanz und lässt den Stimmen vor dem Orchester den Vortritt. Das Booklet bringt ausreichend Hintergründe über das Werk.

Eine festspielwürdige Produktion, bestmögliche Künstler tragen ein Außenseiterwerk zum Erfolg. Stark gefüllte Reihen finden sich bei allen Aufführungen in der nicht gerade kleinen Felsenreitschule für eine absolute Anti-Mainstream-Oper, die dem Publikum insgesamt sehr gefällt, denn es applaudiert uneingeschränkt stark.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Ruth Waltz