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DVD-Besprechung

Eröffnungskonzert Salzburger Festspiele 2012

16.10.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Effektvolle, russische Eröffnung

Es hat in Salzburg schon Tradition, dass sich das immer hochkarätig besetzte Eröffnungskonzert der Sommerfestspiele jeweils einem ausgewählten Themenkomplex widmet. 2012 waren programmatisch ausschließlich russische Komponisten angesagt, und wer könnte besser als Verwalter derselben wirken als Valery Gergiev am Pult der Wiener Philharmoniker. Jetzt ist die Aufzeichnung dieses Konzerts bei Euroarts als DVD erschienen, die dieses Ereignis eindrucksvoll dokumentiert.

In ungewöhnlicher Orchesterbesetzung, nämlich ohne Geigen, dafür mit vielen tiefen Streichern, zahlreichen Holz- und Blechbläsern, Schlaginstrumenten und zwei Klavieren, und dem über 60 Sänger zählenden Wiener Staatsopernchor, der mit geballter Kraft singt und von Ernst Raffelsberger sehr exakt einstudiert wurde, erklingt Igor Strawinskis Psalmensinfonie aus dem Jahr 1930. Hier vertonte der russische Meister ausschließlich alttestamentarische Psalme. Sehr vergeistigt und verhalten, aber immer ungemein exakt zeigen die Wiener Philharmoniker unter Gergiev, der wie immer den gesamten Abend mit seinem „Zahnstocher“ und seinem ihm eigenen, unorthodoxen Dirigierstil agiert, bereits zum Einstieg Außergewöhnliches.

Ebenso in den Bereich der selten aufgeführten Raritäten zählen die Lieder und Tänze des Todes aus dem Jahr 1875 von Modest Mussorgski. Im Gegensatz zu Strawinskis Glaube an Erlösung im Jenseits herrscht hier keine Hoffnung mehr auf Vergebung und ein Leben nach dem Tode vor. Hier wurden von Mussorgski Texte des befreundeten Dichters Arseny Golenishchev-Kutuzov vertont, die alle mit dem Motiv des mittelalterlichen Totentanzes spielen. Sie werden von Sergej Semishkur sehr ausdruckstark und tief emotional mit seinem ausgesprochen schönen Tenor gesungen, wiewohl sie eigentlich für Bass komponiert wurden. Die hier gewählte Version wurde von Alexander Raskatov 2007 orchestriert und mit zeitgenössischen Elementen wie jazzigen E-Gitarren-Sounds ergänzt, die von Gergiev allerdings nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden, um die ironische Distanz zu verstärken. Gekonnt opernhaft, ein Teil erinnert stark an Boris Godunow, tiefgründig, effektvoll und lautmalerisch lässt Gergiev die Gesänge im Orchester erklingen.

Dann erlebt man als Höhepunkt Sergej Prokofjews größtangelegteste und klanglich mächtigste Symphonie, seine Fünfte, entstanden im Kriegsjahr 1944: Die kraftvolle, reliefartige Melodik, die eigenwillige Harmonik, die russische, melodiöse Urwüchsigkeit werden mitreißend mit häufigen Farbenwechseln und rhythmischer Präzision und herausragender Virtuosität in allen Instrumentengruppen präsentiert. Besonders das mitreißende Allegro marcato fasziniert trotz des mörderisch gewählten Tempos mit enormer Exaktheit und dem ständigen, mitreißenden Wechselspiel zwischen den einzelnen Instrumenten.

Enthusiastisch reagiert das Publikum – hier gerät auffallend oft Anna Netrebko ins Bild – und spendet Applaus mit stehenden Ovationen.

Die Kamera bleibt meist am Brennpunkt des Geschehens. Sie wechselt manchmal in extrem kurzen Zeitabständen zwischen einzelnen Musikern hin und her.

Ausreichend informativ ist auch das Begleitheft über die Werke, wenngleich auch diesmal die Künstlerbiographien fehlen.

Helmut Christian Mayer

Fotos: ORF/Ali Schafler