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 DVD-Besprechung

Robert le Diable

5.11.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Bunte Plastikpferde statt teuflischem Drama

„Ich bezweifle, dass man am Theater je etwas so Prachtvolles gesehen hat wie Robert Le Diable. Es ist ein Meisterwerk. Meyerbeer hat sich unsterblich gemacht“, so enthusiastisch urteilte kein Geringerer als Frédéric Chopin, der an der Uraufführung am 21. November 1831 in Paris als Zuschauer teilnahm. Er sollte recht behalten, denn die Premiere wurde ein Sensationserfolg und bestätigte Giacomo Meyerbeer als führenden Opernkomponisten seiner Zeit. In seiner künstlerischen Mixtur vereinigen sich in diesem Musikdrama deutscher Kontrapunkt, italienischer Melodienreichtum, der Pomp Spontinis und ein bespielloses orchestrales Aufgebot. Das Werk entwickelte sich zu einer der beliebtesten und allgegegenwärtigsten Opern des Jahrhunderts. Die Zutat, die zu diesem Erfolg aber besonders verhalf, was das von Eugene Scribe verfasste Libretto.

Darüber hinaus wurde das Musikdrama zu einem der größten Erfolge in der Geschichte der Oper überhaupt. Innerhalb von nur zwei Jahren nach der Uraufführung wurde es auf allen Kontinenten aufgeführt und inspirierte zahlreiche Komponisten von Adam bis Strauß zu mehr als 160 Transkriptionen, Bearbeitungen, Paraphrasen und Fantasien. Was ihm besonderen und bleibenden Wert verleiht, ist neben der Schönheit der musikalischen Eingebungen die einfache, aber doch eindringliche, humanitäre Botschaft: Menschen sind wichtiger als Ideen.

Das Stück basiert auf einer französischen Romanze aus dem 13. Jahrhundert, in der eine kinderlose Frau zum Teufel betet und dann einen Sohn gebärt. Dieser ist stark und boshaft und führt ein zügelloses Leben. Bei Scribe spielt es im mittelalterlichen Palermo. Robert und seine satanische Begleitung suchen Liebe und Abwechslung. Zum Finale wendet sich Robert von seinem Mephisto ab, bereut, wendet sich seiner Geliebten Isabelle zu und alles wird gut. Unwillkürlich wird man an Elemente des Faust aber auch an Hoffmanns Erzählungen erinnert.

Heutzutage wird die fast vierstündige Grand opéra kaum noch aufgeführt. Ein Grund dürfte sicherlich in der Schwierigkeit liegen, eine adäquate Besetzung zu finden. Umso erfreulicher, dass sich das Royal Opera House London Ende 2012 an die Realisierung dieser Oper traute, die zuletzt im königlichen Opernhaus 1890 gezeigt wurde, und die jetzt soeben von Opus Arte als DVD herausgegeben wurde. Die britischen Kritiker haben die Produktion damals ziemlich verrissen.

Das allerdings nicht zu Unrecht, zumindest was die szenische Realisierung von Laurent Pelly betrifft, der auch die Kostüme kreiert hat. Denn diese ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Sehr eigen sind der Stilmischmasch, der bewusste, gnadenlose Kitsch und die extreme Buntheit des Bühnenbildes, das von Chantal Thomas stammt, sowie die völlig überzogenen Kostüme, wie etwa die Ritterrüstungen des Chores. Oder die grellbunten Plastikpferde, die beim Turnier hereingetragen werden – mit sogar im Gesicht gleichfarbigen Burgfräulein. Oder eine wie ein Spielzeug wirkende, bewegliche Ritterburg, die bespielt wird. Oder ein Gebirge mit höllischen Einlagen oder einem die Zähne entsetzlich fletschenden Höllenhund, mit einem Feuermund, von dem das Böse, namentlich Bertram, zum Schluss verschlungen wird. Die wie in einem Fantasy-Märchen aussehenden Kulissen sind zudem wie bei einem Comic oder Cartoon mit vielen Strichen gezeichnet. All das ist zwar fantasievoll, aber so überzeichnet, dass es regelrecht lächerlich wirkt und an eine Persiflage erinnert. So wie die Personenführung des Chores: Hyperaktive, durchchoreographierte und überbordend-kollektive Bewegungen, denen gemeinsames Erstarren entgegengesetzt wird. Man kann sich öfters nicht des Gefühls erwehren, der Regisseur nähme das Werk nicht ernst und wolle hauptsächlich Spaß erzeugen. Das Ballett der Nonnen, die aus ihren Särgen steigen und dann exzessiv und auch sehr lasziv lostanzen, erinnert an Michael Jacksons Video zu seinem Hit Thriller. Lediglich in der Einzelpersonenführung hält sich Pelly sich etwas zurück.

Musikalisch wirkt die Produktion auf Grund der Qualität der Sänger jedenfalls besser: Bryan Hymel ist ein schönstimmiger Titelheld mit schlankem Tenor und müheloser Höhenpräsenz. John Relyea interpretiert als mephistophelisches Element und Handlungsstrippenzieher, der sich letztlich als Vater von Robert herausstellt, den Bertram sehr dämonisch und kernig. Innig klingt der Sopran von Marina Poplavskaya als Alice sowie sehr flexibel, sauber und herrlich lyrisch jener von Patrizia Ciofi als angebetete Isabelle, besonders anrührend und voll tiefem Ausdruck ist ihre wunderbare Cavatine im vierten Akt. Bei den kleineren Partien überzeugt Jean-Francois Borras als Raimbaut mit schönem, leuchtendem Tenor. Der sehr bewegliche Chor klingt homogen und ausbalanciert.

Daniel Oren, den man vielfach von italienischen Produktionen her kennt, legt sich beim Orchester des Royal Opera Houses mächtig ins Zeug: Sehr transparent, präzise und mit vielen Akzenten wird musiziert. Gekonnt werden auch Meyerbeers neuartige, spezielle Klangmischungen interpretiert.

Die Videographie von Sue Judd ist immer konzentriert auf die wesentlichen Aktionen. Der Ton lässt bei der Dynamik immer den Stimmen vor dem Orchester den Vortritt, die Qualität ist gut.

Das Booklet bringt viele Hintergründe über das Werk, vergisst jedoch komplett eine Trackliste der einzelnen Opernnummern.

Dem Publikum scheint die Produktion zumindest nach dem Schlussapplaus sehr gefallen zu haben, denn es applaudiert uneingeschränkt heftig, wenngleich sich bei dieser Aufnahme niemand vom szenischen leading team zeigt.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Bill Cooper