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DVD-Besprechung

Das Rheingold

6.9.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Nicht alles Gold glänzt

Viele Ansätze, Wagners Ring des Nibelungen zu interpretieren, konnte man in den letzten drei Jahren verfolgen. Die Wagner-Jubiläums-Maschinerie läuft seit etwa 2010 auf vollen Touren, um jetzt 2013 den Komponisten zu feiern. Einiges davon darf man getrost als überflüssig in den Regalen liegen lassen. Gemessen am jetzt bei Arthaus erscheinenden Rheingold dürfte der neue Ring an der Mailänder Scala wohl mit die langweiligste Interpretation der Jubiläums-Serie sein.

Dass der insgesamt doch recht dankbar zu inszenierende Vorabend der Tetralogie nichts Aufrüttelndes, Komisches oder Mythisches bereithält, geht eindeutig auf das Konto von Regisseur Guy Cassiers. Ein Gesamt-Kunstwerk muss er wohl im Sinn gehabt haben und stellt den Protagonisten Licht und Tanz an die Seite. Tatsächlich bieten die Lichtregie von Enrico Bagnoli und die Videos von Arjen Klerkx und Kurt D’Haeseleer einiges für den Fernseher. Die Tänzer der Eastman Ballet Company Antwerp sorgen für Bewegung auf der Bühne. Aber: Man versteht ihren ansehnlichen Ausdruckstanz nicht immer, weil Cassiers ihn viel zu selten mit seiner Personenregie, wenn man davon denn reden kann, in Verbindung bringt. Nur in einer Szene weiß der Regisseur das Tanzensemble mit einzubinden. Unten im Nibelheim symbolisieren die Tänzer Alberichs Tarnhelm, formen sich zu seinem Thron oder wirken wie ständig ihn umkreisende Leibwächter. Da bekommt der heranschleichende Loge auch mal das hohe Bein einer Tänzerin ab. Der – bei weitem nicht neue – Kunstgriff, die Sänger mit Tänzern zu doppeln, bringt vielleicht etwas fürs Auge, ändert aber manche trostlose Leere auf der Bühne nicht. Das beste Beispiel dafür sind die beiden Riesen Fasolt und Fafner, die auf der Bühne recht harmlos und klein herumstehen, auf der Bühnenrückwand zusätzlich als riesige Schatten projiziert sind.

Für den Zuschauer bringt es zudem relativ wenig, wenn die Tänzer beispielsweise Donner bei seinem Gewitterzauber umtanzen, während der Sänger keinen körperlichen Ausdruck anzubieten hat. Die Fernsehregie von Emanuele Garofalo übernimmt in diesen Fällen die Aufgabe der schweifenden Augen der Theaterbesucher, die die Feinheiten der Videos, der nicht immer schön anzusehenden Kostüme von Tim van Steenbergen und des Bühnenbildes aufnehmen. Cassiers und Bagnoli arbeiten im Rhein mit Wasser und lassen daraus schachbrettartig das Ufer für die folgenden Szenen erheben. Die Bühne wird begrenzt durch eine hohe Bühnenrückwand, die sich mit Hilfe der Videos immer wieder verwandelt. In der Maske gibt es kleine Details, die sich in der Person nicht wiederfinden. Die vernarbten Mundwinkel Alberichs erinnern fatal an das Gesicht von Batman-Gegenspieler Joker in Christopher Nolans Film The dark night. Mehr weiß Cassiers über den Nibelung nicht zu erzählen.

Da muss Sänger Johannes Martin Kränzle neben seiner naturgegebenen körperlichen Präsenz schon seinen ganzen Bariton aufbieten, um dann doch eine komplette Figur auf die Bühne zu stellen. Auch René Pape wirkt als Wotan darstellerisch beinahe statuarisch und verlässt sich komplett auf sein belcantesk geführtes Prachtorgan, das göttliche Würde ausstrahlt. Ebenso mit der passend überirdischen Aura umgeben sind Doris Soffel als Fricka und Anna Larsson als Erda. Anna Samuil ist eine optisch ideale Freia, die auch stimmlich jegliche Schärfe zu vermeiden sucht. Als wendiger Darsteller, der mit einem ebenfalls ausdrucksstarken, wenn auch nicht immer sauber eingesetzten Tenor ausgestattet ist, empfiehlt sich Stephan Rügamer als Feuergott Loge. Bei den Riesen hinterlässt Kwangchul Youn als pathetisch-liebestoller Fasolt eindeutig den besseren Eindruck als der blasse Timo Riihonen. Ohne Fehl und Tadel, aber auch nicht besonders engagiert sind Jan Buchwald und Marco Jentzsch als Donner und Froh. Und die Rheintöchter Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya und Marina Prudenskaya dürften noch eine Spur fließender klingen. Die passende Vorlage dafür bekommen sie ja aus dem Orchestergraben.

Daniel Barenboim geht das Rheingold weniger dramatisch an als man es von ihm schon gehört hat, ob damals in Bayreuth oder diesjährig bei den Night of the Proms in London. Allein der weich ausklingende Schlusston zeigt, dass Barenboim seinen Hörern den Ring von einer anderen Seite zeigen möchte. Natürlich verzichtet er auch nicht auf manchen auftrumpfenden Höhepunkt. Doch legt er viel Wert auf weiche Zwischenstimmen, auf leichte Veränderungen in der Dynamik. Dem Orchester der Scala gelingt es dabei nicht immer, die für die Interpretation erforderliche Spannung zu halten. Dennoch gibt es vom Publikum recht begeisterten Applaus.

Ganz souverän wird das sehr ordentliche musikalische Ergebnis im Ton wieder gegeben. Wenn es also einen Grund gibt, sich dieses Rheingold zuzulegen, dann liegt er in der musikalischen Interpretation im Verbund mit den Sängern Kränzle, Pape und Rügamer. Die DVD verzichtet aber bis auf die schon obligatorischen Untertitel auf jegliche Extras – leider ist das derzeit der Standard. Und da Guy Cassiers' Inszenierung mehr langweilt als beeindruckt, nimmt sich dieses Rheingold angesichts des vollen DVD-Marktes selber den Wert. Unter diesem Eindruck lässt ein Satz aus dem Booklet-Text von Michael P. Steinberg, der darin die Entwicklung der Ring-Inszenierung beschreibt, den Leser innehalten: „Guy Cassiers Ring führt ein völlig neues Paradigma ein.“ Da blicken Erda und die Wagnerianer doch etwas besorgt in die Zukunft.

Christoph Broermann

Fotos: Teatro alla Scala