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DVD-Besprechung

Renée Fleming - live at the Opéra National de Paris

8.7.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Auf der Höhe des Ruhms

Um zu erfahren, welche Auftrittsorte für eine Opernsängerin von Bedeutung sind, möge man den Spuren Renée Flemings folgen. Die hübsche Amerikanerin besucht sie alle mit schöner Regelmäßigkeit, wenn sie nicht gerade eine neue CD einspielt oder einen Preis entgegennimmt. Ein solcher Hype weckt schon mal den Verdacht, hier greife die Vermarktung besser als das Stimmvermögen des Sängers oder der Sängerin. Beispiele dafür gibt es bis heute. Dass Renée Fleming tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung ist, zeigt eine Box mit drei DVDs, die bei Arthaus unter dem Titel Renée Fleming – live at the Opéra National de Paris erschienen ist. Zu erleben sind Manon, Rusalka und Capriccio in Live-Mitschnitten. In Zeiten hochauflösender Fernsehbilder und Dolby-Surround-Aufnahmetechniken kann sich bei solchen Aufzeichnungen niemand mehr verstecken. Und tatsächlich: Die Stimme der Sopranistin, ihre anmutige Erscheinung lösen augenblicklich eine Kaufempfehlung aus, selbst wenn bei den einzelnen Aufführungen in der Pariser Oper der persönliche Geschmack nicht zwingend getroffen wird.

So gewinnt bei Manon von Jules Massenet in der Inszenierung von Gilbert Deflo der Begriff „Historische Aufführungspraxis“ eine ganz neue Bedeutung. William Orlandi hat eine karge Bühne entworfen, auf der nur wenige Requisiten die Handlungsorte kennzeichnen. Joël Hourbeigt taucht das Geschehen in ein überwiegend düsteres Licht, das die dem 18. Jahrhundert entlehnten Kostüme noch historischer wirken lässt. Es gibt viel Platz zum Herumstehen auf der Bühne, und so bekommt der Zuschauer noch einmal all die Opernposen zu sehen, die eigentlich längst tot geglaubt waren. Der Kamera von François Roussillon ist zu verdanken, dass die Aufführung ihren „Stehcharakter“ verliert. Mit einer wohldosierten Mischung aus Kamerafahrten, Schnitten und Nahaufnahmen entsteht Bewegung im Bild, die dem Publikum im Saal vorenthalten wird. Wer sich nicht zu bewegen braucht, hat viel Luft zum Singen. Und so wird die Aufführung zum Sängerfest, in dessen Mittelpunkt Renée Fleming als Manon glänzen kann. Nach ihren Arien lässt die Musik stets die nötige Pause, damit das Publikum die Fleming ausgiebig feiern kann. Ihr zur Seite steht Marcelo Alvarez, der ebenbürtig den Chevalier des Grieux gibt. Bis in die Nebenrollen hinein sind hier tadellose, schöne Stimmen zu hören, sofern man die Lautstärke des Fernsehers hoch genug einstellt. Auch die Chöre in der Einstudierung von David Levi kommen unverzerrt über die heimischen Lautsprecher. Einzig für die Sprechtexte reichen die Mikrofone nicht aus, was aber durchaus zu verschmerzen ist. Dafür, dass die Aufzeichnung zwölf Jahre alt ist, ist sie in einem technisch erstaunlich guten Zustand. Was neben den Stimmen natürlich in erster Linie dem Musikerlebnis zu Gute kommt, das Jesus Lopez-Cobos mit dem Orchester der Nationaloper bietet. Gerade die filigran gespielten Piani gefallen und zeigen das Differenzierungsvermögen der Musiker. Das Publikum im Saal bedankt sich euphorisch.

Überhaupt scheinen die Pariser recht begeisterungsfreudig zu sein. Das wird auch in der Rusalka von Antonín Dvořák deutlich, eine eher gegensätzliche Inszenierung von Robert Carsen. Der Regisseur nutzt den Wechsel von Weiß nach Schwarz, um das lyrische Märchen in drei Akten zu erzählen. Zwischenzeitlich bringt er immer wieder das Element der Rusalka, das Wasser, ins Spiel. Und sei es zuletzt durch wellenförmige, bühnenfüllende Projektionen, für die Peter van Praet verantwortlich zeichnet. Die Bühne wechselt von einem Bassin zu zwei Schlafzimmern, um sich endlich ganz zu leeren. Ähnlich klare Linien schafft Michael Levine, der beides verantwortet, für die Kostüme. So bewegt sich die Inszenierung in einer kühlen, minimalistischen Welt, die dem Ensemble ausreichend Platz lässt, die psychologische Dimension auszuleuchten. Steht bei der Manon Flemings Gesang im Vordergrund, muss sie sich als Rusalka vor allem im schauspielerischen Können beweisen. Man ertappt sich dabei, den Gesang als völlig selbstverständlich hinzunehmen und sich von der Rusalka als Figur gefangen nehmen zu lassen. Das ist faszinierend. Faszinierend auch bei dieser DVD ist die Kameraarbeit von Roussillon, der dieses Mal mit gelungenen Überblendungen arbeitet und so die Dramatik der Aufführung mystifiziert und verstärkt. James Conlon führt das Orchester der Nationaloper schwungvoll, aber ohne große Überraschungen durch das Geschehen.

Stärker in den Vordergrund drängt Ulf Schirmer das Orchester der Nationaloper, wenn es die forcierten Passagen des Capriccio von Richard Strauss an die Grenzen der Sängerverständlichkeit treibt. Auch diese ungewöhnliche Geburtstagsfeier inszeniert Robert Carsen, allerdings durchaus konventioneller als beispielsweise die Rusalka. Als Zeitpunkt der Handlung wählt der Regisseur das Jahr der Uraufführung des Werkes, 1942. Anthony Powell steckt die Herren in die Anzüge jener Zeit, während die Gräfin im giftgrünen Festkleid die Vorbereitungen ihres Geburtstags zelebriert. Auf der zweiteiligen Bühne von Michael Levine ist im vorderen Bühnenraum eine Theaterwerkstatt angedeutet, während im Hintergrund der Salon des Schlosses zu erkennen ist. Als der Wettstreit der Künste entbrennt, bleibt Renée Fleming eher im Hintergrund. Ein wenig unmotiviert lächelnd, sitzt sie über weite Strecken mit dem Rücken zum Publikum. Auch Roussillon hat deutliche Schwierigkeiten, die richtigen Bilder einzufangen und rettet sich in schnelle Schnitte. So fällt die dritte DVD trotz hervorragender Akteure gegenüber den vorangegangenen ab. Obwohl das Thema des Capriccio eigentlich ein Appell für die hohe Kunst ist, den wir heute dringender denn je brauchen. Großartig das tabula rasa, wenn Franz Hawlata als Theaterdirektor La Roche seine flammende Rede Holà, Ihr Streiter in Apoll hält. Eine Pflichtszene für die Kulturpolitiker unserer Zeit.

So schlägt die DVD-Box, obwohl sicher nicht intendiert, einen großen Bogen von der hohen Kunst des Gesangs einer Renée Fleming in die Situation der Gegenwart, in der eine politische Kaste immer unverhohlener versucht, kulturelle Werte zu eliminieren. Und birgt neben dem Genuss von Oper den Appell, sich dafür einzusetzen, dass wir auch in Zukunft solch großartige Sängerinnen wie Renée Fleming auf einer Bühne und nicht nur auf CD oder DVD erleben können.

Denn auch wenn es sich durchaus lohnt, den Inhalt der Box am heimischen Fernseher zu genießen, kann die „Konserve“ immer nur Ergänzung, nie aber Ersatz einer Live-Aufführung sein. Das zeigt auch die vorliegende Box in ihrer Ausstattung. Bonus-Material gibt es nicht, die Untertitel sind auf sechs Sprachen reduziert und wo der Opernbesucher auf ein informatives Programmheft zurückgreifen kann, muss sich der Zuschauer auf eine Mogelpackung beschränken: Was als umfangreiches Begleitheft daher kommt, beinhaltet gerade mal ein bis zwei Seiten Zusatzinformation – das Begleitheft ist nämlich dreisprachig, und da bleibt für die deutsche Sprache nicht mehr Raum am Ende des Heftes. Eine schöne Idee: Auf der Rückseite des Heftes sind Bedienhinweise für die DVD untergebracht. Und das kann ja schon mal hilfreich sein – wenn man des Englischen mächtig ist.

Klagen über mangelndes Interesse der Deutschen an klassischer Musik werden da redundant. Studien aus der Werbung haben gezeigt, dass über die Hälfte der Deutschen englische Begriffe nicht richtig oder falsch versteht. Auf der Höhe ihres Ruhms sind die Musikverlage also beileibe nicht. Gut, dass es Renée Fleming ist.

Michael S. Zerban

Fotos: Eric Mahoudeau