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 DVD-Besprechung

Pelléas et Melisande

1.11.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Würdigung einer Ära

Eine Aufnahme aus dem Aalto Theater in Essen! Längst überfällig, dass eines der schönsten und fleißigsten Theater in Nordrhein Westfalen auch auf DVD zu finden ist. Aber – o weh - nicht mal eine Außenansicht gönnt Video Director Marcus Richardt dem Aalto Theater, das dieses Jahr immerhin sein 25jähriges Jubiläum feiert. Auch das Publikum wird beim Applaus nur akustisch eingeblendet. Das Booklet fühlt sich in den Händen schon recht robust an, doch die Textauswahl irritiert. Eine Interpretationserklärung von Regisseur Nikolaus Lehnhoff, ein kurzer Aufsatz von Claude Debussy und eine Beschreibung der äußeren Umstände durch André Messager, dem Dirigenten der Uraufführung, gibt es in Deutsch, Englisch und Französisch zu lesen. Von einer Inhaltsangabe fehlt jede Spur. Die Handlung wird in englischen Einblendungen zu den Zwischenspielen mitgeliefert. Anstatt die Chance zu nutzen, Regisseur Lehnhoff oder den scheidenden Essener Dirigenten Stefan Soltesz im Interview vorzustellen, sucht man besondere Extras im Menü der DVD vergeblich.

Wenn man nun mit dem Vorspiel in die mystische Welt um das tragische Paar Pélleas und Mélisande eintaucht, dann scheint die reine Konzentration auf das Werk Methode zu haben. Denn auch Nikolaus Lehnhoff fokussiert sich auf die leidenden, aber nie ganz zu packenden Personen der Oper, die entfernt an das Personal aus Tristan und Isolde erinnern. Verschwommen und unklar schiebt sich die rechteckige Spielfläche von Raimund Bauer aus dem blauen Licht der Zwischenspiele nach vorne, um dann kalte Flächen und scharfe Kanten zu demonstrieren. Das Schloss Allemonde ist greifbar und doch ständiger Veränderung unterworfen, wenn Treppen hinzugefügt werden und Wände sich auflösen. So ist dieser eine Ort Burg, Garten, Hafen, Grotte und Gruft in einer Funktion.

Ähnliches erreicht Lehnhoff in seiner Personenführung. Die Sänger sind in ständiger Bewegung, sie kommunizieren, spielen miteinander, reflektieren das Umfeld – und doch scheinen sie dabei so ruhig zu sein wie die Oberfläche eines Sees. Selbst das große Verbrechen der Oper, der Brudermord Golauds an Pélleas, verläuft in seiner Dramatik unaufgeregt ab. Andrea Schmidt-Futterer unterstützt mit ihren Kostümen, die so schlicht wie schön sind, Lehnhoffs Aussagen. Mélisande in ihrem weißen, figurenbetonten Kleid ist Unschuld und Verführung gleichermaßen. Pélleas verkörpert in seinem hellen Grün und mit zeitweilig bloßem Oberkörper aufblühende Männlichkeit. In Golauds dunklem Blau spiegelt sich dessen Machtwillen und tiefe Sehnsucht nach Liebe wider.

Die hervorragende Besetzung am Aalto-Theater reflektiert die großen Generationsunterschiede. Da sind einerseits die altgedienten Sänger Doris Soffel und Wolfgang Schöne als Geneviève und Arkel, Vertreter einer alten Ordnung, denen der junge Dominik Eberle als das Kind Yniold gegenübersteht. Der Golaud von Vincent Le Texier ist kein böser Ehemann, sondern ein scheiternder Mensch, der seinen Lebensweg aus den Augen verloren hat. Da passt es genau, dass Texier nicht immer rein schön singt, aber der Rolle trotzdem großes Profil verleiht. Jaques Imbrailo lässt als Pélleas seine Stimme genau zwischen einem jugendlichen Tenor und ausgewachsenem Bariton schweben. Das mischt sich hervorragend mit dem Mezzo von Michaela Selinger, die eine überragende Mélisande singt. Das schöne, reine Timbre und ihr bemerkenswerte, souveräne Technik machen die Figur in ihrer Schlichtheit ganz aufregend. Für Stefan Soltesz scheint Debussys nahezu unbeschreiblicher Stil die Quintessenz seiner Amtszeit zu sein. Wie immer achtet Soltesz auf das filigrane Spiel der Essener Philharmoniker, die ihm auch in diesem Fall absoluten Gehorsam leisten. Wie ein Nebelhauch wehen die Melodien heran und zerstieben wieder in der Luft. Das sind wunderschöne, sanft-lyrische Momente, in denen sich existenzielle Sorgen und Sehnsüchte in ihrer ganzen Dramatik offenbaren. Somit ist dieser Pélleas eine Würdigung der Ära Soltesz per se und bedarf keiner weiteren Bilder oder Interviews. Der Käufer hätte sich bestimmt trotzdem darüber gefreut.

Christoph Broermann

Fotos: Hermann und Clärchen Baus