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 DVD-Besprechung

Eugene Onegin

7.10.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Die DVD als Erinnerung

Lange musste man nicht warten, bis dieser Eugene Onegin auf DVD erscheint. Im Februar dieses Jahres begeisterte er noch als Live-Übertragung aus der Royal Opera Covent Garden in den Kinos. Nun legt Opus Arte die Aufführung quasi zur Überprüfung der persönlichen Eindrücke auf DVD vor. Wo im Kino das Beinahe-Live-Erlebnis mitreist, kann man auf der DVD mit wenigen Mausklicks jeden Takt, jede Einstellung immer wieder kritisch unter die Lupe nehmen. Doch dieser Eugene Onegin bleibt einfach nur eine Aufführung zum Genießen und Mitfiebern, was auch daran liegt, dass sowohl die Kamera als auch der Ton das Erlebnis kongenial wiedergeben.

Hausherr und Regisseur Kasper Holten erzählt die Handlung als eine aufflackernde Erinnerung der beiden Hauptpersonen Eugene und Tatjana, indem er im Vorspiel die finale Begegnung des nie zusammen findenden Liebespaares vorwegnimmt. So gelingt ihm das Kunststück, die Handlung nie entfremdet darzustellen, aber ihr trotzdem eine eigene Handschrift zu geben. Zwei Tänzer stehen Eugene Onegin und Tatjana in entscheidenden Szenen als jüngere Ichs zur Seite. Im ersten Akt schaut sich Tatjana in einer Mischung aus Selbstmitleid und Sehnsucht sozusagen selbst über die Schulter, während Vigdis Hentze Olsen den Liebesbrief schreibt und die Gefühle in nie übertriebenen Ausdruckstanz verpackt. Nachdem ihr von Eugene Onegin ihre Illusion von Familie und Liebe genommen wurde, flüchtet sich das jüngere Ich auf einen Schrank. Schlagartig ist Tatjana erwachsen geworden. Der junge Eugene Onegin, sehr schön unbekümmert gespielt von Thom Rackett, kommt vor allem in der Duellszene zum Einsatz. Sein älteres Ich versucht vergeblich, in die Erinnerung einzugreifen und muss gleichzeitig hilflos mitansehen, wie er seinen Freund Lenski erschießt.

Holten erzählt nicht nur ihre Empfindungen mit einer sehr durchdachten Personenführung, sondern lässt auch das andere Liebespaar daran teilhaben. Lenski bemerkt in seinem poetischen Liebestaumel gar nicht, dass er die lebhafte, fröhliche Olga mit seinen Liebesschwüren überfordert. Daher ist sein Wutausbruch im zweiten Akt nachvollziehbar, wenn Olga mit Onegin anbandelt. Im letzten Akt greift Holten eine verworfene Idee Tchaikovskys wieder auf, wenn Fürst Gremin Eugenes verzweifelte Versuche beobachtet, Tatjana zurück zu gewinnen. Und immer wieder bricht der Chor durch die vier hohen Portale der Erinnerung herein, die Mia Stensgaard auf die Bühne gestellt hat. Mit Hilfe der Beleuchtung von Wolfgang Göbbel und der Videos von Leo Warner reichen die großen Flügeltüren völlig aus, um einen atmosphärischen Rahmen zu schaffen. Die Kostüme von Karina Lindsay helfen bei der Typbestimmung und beim Herausheben der Solisten aus der Masse.

Das stimmliche Niveau dieser Produktion ist sehr gut bis hervorragend. Diana Montagues Larina und Peter Roses Gremin brauchen sich hinter der attraktiv-engagierten Olga von Elena Maximova nicht zu verstecken. Pavol Breslik als Lenski fesselt mit einem schier unendlich lyrischen Material. Kaum zu überbieten ist die Besetzung der beiden Hauptrollen: Simon Keenlyside lebt den oberflächlichen Zynismus des Onegin, seine gelangweilte Art mit szenischer Genauigkeit und stimmlicher Größe. Bei ihm vermischen sich Stimme und Körper zu einer nahezu perfekten Symbiose. Krassimira Stoyanova ist in der Darstellung nicht ganz so intensiv, dafür nimmt sie mit ihrem schön timbrierten, nie angestrengt klingenden Material hundertprozentig für sich ein. Rein technisch dürfte die Stoyanova in dieser Rolle nicht zu überbieten sein. Renato Balsadonna hat den Chor der Royal Opera wieder einmal bestens vorbereitet. Robin Ticciati schlägt mitunter etwas sehr zügige Tempi an, doch ist es auch sein Verdienst, ebenso wie der des Orchesters, dass die Aufführung nicht nur kurzweilig, sondern auch im höchsten Grade emotional ausfällt.

Besonders erfreulich sind die kleinen Extras, die die beiden DVDs mit sich bringen. Zwei Beiträge demonstrieren, angereichert mit Interviews, die Probenarbeit. Und endlich wird für eine Oper das genutzt, was bei Film-DVDs schon lange üblich ist: Man kann sich die komplette Aufführung mit einem Audiokommentar – leider ohne deutsche Untertitel – des Regisseurs anschauen. Das ist eine höchst erfreuliche Entwicklung und wird hoffentlich noch viele Nachfolger finden.

Christoph Broermann

Fotos: Bill Cooper