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DVD-Besprechung

Eugene Onegin

14.4.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Symbolische Kunst statt echter Gefühle

Die Kunst beginnt mit dem Medium: Die DVD-Hülle überrascht mit einem sehr starken Fuchsia auf der Rückseite, übertragen von Tatjanas Kleid auf der Vorderseite. Die DVDs mit einem dunklen Lila liefern den passenden Kontrast dazu. Die eröffnende Außen-Kamerafahrt zeigt das zweite Kunstwerk: Das futuristisch anmutende Opernhaus in Valencia, das Palau de les Arts, hat selbst auf dem Bildschirm eine beeindruckende Wirkung. Von hier stammt die Aufzeichnung des Eugene Onegin aus dem Jahr 2011, die das Label C Major nun veröffentlicht. Das dritte Kunstwerk schließlich ist die Inszenierung von Mariusz Trelinski: Er lässt nicht einfach nur die emotionale, tragische Liebesgeschichte junger Leute spielen, sondern versetzt sie in einen Rausch aus Farben und Symbolen. Und er erfindet eine Figur für die Handlung dazu: Im Besetzungszettel findet sich eine Person O***, die man direkt mit dem Titelhelden Onegin in Verbindung bringt. Diese Person durchsteift wie ein Geisterwesen Onegins Erinnerungen, gibt ihm Impulse vor und leidet immer wieder aufs Neue mit. Der Tänzer Emil Wesotowski ist der großartige Dirigent auf der Szene und leitet beispielweise die düstere Polonaise der gelangweilten Gesellschafts-Zombies an. Im Verbund mit dem stark reduzierten Bühnenbild von Boris Kudlicka und der handlungsmitbestimmenden Lichtgestaltung von Felice Ross gelingen dem Team durchaus starke Bilder mit prägnanten Farbspielen. Da mischt sich das ländliche Schwarz-Weiß der Personen mit grellfarbigen Requisiten. Knallrote Äpfel symbolisieren Verführung, ein riesiger Tisch steht für die Gesellschaft und Häuslichkeit. Auch in den handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Onegin und Lenski bleibt der Regisseur seinem mit Metaphern angereichertem Spiel treu, verlangt aber zugleich ein ansehnliches hohes Bewegungstempo. Nur selten dürfen die Sänger aus dem Bild ausbrechen und auf einem Steg vor dem Orchestergraben Mensch sein. Doch trotz oder wegen all dieser Bilder bleibt dieser Eugen Onegin am Ende nur Kunst. Das Schicksal der Personen geht einem kaum nahe, weil sie sich nicht lebensecht bewegen, weil das Symbol wichtiger ist als die Menschlichkeit.

Dabei stehen dem Regisseur doch Künstler zur Verfügung, die alles auffahren können, was dieser Wettstreit der Gefühle benötigt. Herausragend etwa die Tatjana von Kristine Opolais, die das Konzept hochkonzentriert mitgestaltet. In den ersten zwei Akten dominieren Verunsicherung, Panik, Scheue ihre Mimik, im dritten Akt lässt sie sich von einer stoisch-gefühlsarmen Maske beherrschen. Ihr an sich schöner Sopran ist nicht immer frei von Eintrübungen, doch ihre Stimme ist in der Lage, genau die Gefühle zu transportieren, die sie auch darstellerisch ausdrückt. Mit dieser Tatjana kann man mitleiden, ganz im Gegenteil zum blasiert-arroganten Eugen Onegin. Artur Rucinski schreitet in den ersten Akten mit herablassender, fast diabolischer Körperhaltung durch die Szene. Im dritten Akt folgt sein Zusammenbruch. Wenn die Fassade bröckelt, verliert auch der ansonsten kultiviert singende polnische Bariton etwas die Beherrschung über sein Material und beginnt die Dramatik zu forcieren. Bei ihm siegt das Gefühl über die Kunst. Dmitry Korchak ist mit beeindruckendem Tenor eine Idealbesetzung für den Lenski und hat mit Lena Belkina eine Energie versprühende Olga an seiner Seite. Eine Edelbesetzung für den Gremin ist der Bass Günther Groissböck. Der Cor de la Generalitat Valenciana, vorbereitet von Francesc Perales, punktet zwar mit schönen Stimmen, findet aber nicht immer zu einem notengenauen Klang zusammen. Das kann aber nicht der Grund dafür sein, dass man ihm einen der schönsten Chöre der Opernliteratur, den Auftritt der Landarbeiter im ersten Akt, gestrichen hat. Man darf vermuten, dass er nicht in das szenische Konzept gepasst hat, denn auch Dirigent Omer Meir Wellber empfiehlt sich eher als genauer Verwalter der Oper. Mit großer Gestik lässt er das Orquestra de la Comunitat Valenciana in einen Bilderrausch voller dicker Farben eintauchen. Das ist passend zur Szene, doch ab und an vermisst man in dieser Interpretation eine gewisse Leichtigkeit.

Die Sänger profitieren in diesem Zusammenhang von den Mikrofonen, so dass sie über dem Orchester gut zu hören sind. Ton und Bild sind überhaupt auf dieser DVD tadellos. Die saubere Bildregie von Tiziano Mancini passt sich dem Bühnengeschehen an. Überlegte Einstellungen zeigen die Bilder der Inszenierung, geschickte Überblendungen sorgen für einen Fluss darin. Auch Dirigent und beim Applaus das Publikum sind zu sehen. Die Zuschauer feiern die Sänger mit kräftigem, fein abgestuftem Beifall.

Christoph Broermann

Fotos: Unitel Classics