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 DVD-Besprechung

Moby Dick

1.11.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Ruhige See und rhythmische Stürme

Als der Komponist Jake Heggie, der im Jahr 2000 mit der Oper Dead Man Walking seine erste Oper komponierte, auf der Suche nach einem neuen Stoff zu Herman Melvilles Moby Dick greift, erkennt er das Potenzial der Geschichte sehr schnell. Der berühmte Eröffnungssatz „Nennt mich Ismael“ – so viel ist ihm und seinem Librettisten schnell klar – soll der letzte Satz des Werkes sein. Somit wird Captain Ahabs Jagd nach dem weißen Wal zu einer Erinnerung. Der eigentliche Erzähler Ismael ist der unerfahrene Neuling, der Greenhorn genannt wird. Der Komponist selbst beschreibt die Entstehungsgeschichte der Oper in einem sehr schönen Bericht, dem man im Booklet der neuen DVD nachlesen kann. Das Label EuroArts beginnt eine Reihe von Veröffentlichungen aus dem War Memorial Opera House in San Francisco mit dieser Oper und dürfte Moby Dick kaum noch überbieten können. Diese DVD gehört mit zu den interessantesten und sehenswertesten Neuerscheinungen der letzten Jahre.

Sie beweist, dass man vor zeitgenössischen Opern keine Angst haben muss. Jake Heggies Komposition ist natürlich keine eingängige, gemütliche Musik, auch er arbeitet mit Dissonanzen, mit ungewohnten Melodiebögen. Bei ihm hört sich das Moderne nie künstlich übersteigert, nie gewollt übertrieben an. Man findet ferne Parallelen zu Richard Strauss, zu Carl Orff und auch zu Richard Wagner. Heggie arbeitet mit dessen ungeheurer Suggestivkraft, was Naturvorgänge und Stimmungen angeht. Das ist Musik zum Mitfiebern, die sich auf die Regie von Leonard Foglia auswirkt: Etwa wenn Ahab seine Mannschaft auf den Tod des weißen Wals einschwört: „Death to Moby Dick“, ruft er aus, stößt im Einklang mit dem zwingenden Rhythmus des Orchesters mit seinem weißen Gehstock auf den Boden, die Mannschaft fällt nach und nach mit ihren Stimmen und Harpunen mit ein.

In vielen kleinen Details sieht man die Zusammenarbeit von Komponist, Librettist und Regisseur, die die Aufführung aus dem Jahr 2012 zu einem nahezu perfekten Gesamterlebnis formen. Eine andere Inszenierung als die von Foglia kann man sich derzeit für diese Oper schwer vorstellen, auch wenn seine Sicht auf das Seemannsleben leicht ins Romantische abgleitet. Man kann dem Team um Foglia nur Respekt zollen, wie hautnah es die schwierig zu bebildernde Handlung, die in diesem Fall nur auf Schiff und Meer spielt, an das Publikum heranholt. Frank Zamaconas Bildregie für die DVD trägt seinen Teil dazu bei, dass auch die Zuschauer vor dem Bildschirm ganz auf ihre Kosten kommen. Robert Bills Bühnenbild erinnert auf dem ersten Blick an den aufgeschnittenen Bauch der Pequod, der sich mit kleineren Gimmicks auch in das Deck voll mit Leitern und Takelage verwandeln kann. Dank Elaine J. McCarthys Projektionen und der Beleuchtung von Donald Holdererlebt der Zuschauer nicht nur Stürme und Sternenhimmel, sondern auch, wie die Harpuniere in den kleinen Beibooten auf Walfang sind. Jane Greenwood schafft authentische Kostüme, die das optische Vergnügen noch bereichern.

Auch der akustische Eindruck ist erstklassig. Jay Hunter Morris bietet eine würdevolle, packende Charakterstudie des Ahab, auch wenn man sich seinen hellen Tenor noch etwas autoritärer wünscht. Doch auch er hinterlässt in der enorm anspruchsvollen Partie so einen guten Eindruck, dass es Nachfolger schwer haben dürften. Seinen rationalen Gegenpol, den ersten Steuermann Starbuck, singt Morgan Smith mit der passenden Ruhe und Ausstrahlung. So entsteht zwischen den beiden Charakteren ein sicht- und hörbares Spannungsfeld auf der Bühne. Stephen Costello ist ebenso glaubhaft als Greenhorn wie Jonathan Lemalu als Queequeg. Große Leistungen steuern auch Robert Orth und Matthew O’Neil als Stubb und Flask bei. In diesem maskulinen Umfeld muss die einzige Sängerin Talise Trevigne in der Hosenrolle des Kabinenjungen Pip bestehen und macht nicht nur gute Figur, wenn sie auf der Bühne schwebend im Meer zu treiben scheint. Chordirektor Ian Robertson schickt seinen guten Männerchor als zupackende Seemänner auf die Bühne. Patrick Summers entfacht mit dem San Francisco Opera Orchester jenen Sog, der mit Ahabs Rachedurst vergleichbar ist. Das Orchester kann so ruhig da liegen wie die See vor dem Sturm und im nächsten Augenblick türmen sich Emotionen wie Wellen auf.

Wie das Publikum diese Produktion empfunden hat, kann man leider nur erahnen, denn der Schlussapplaus ist grob zusammen geschnitten. Der Jubel für die Darsteller, für den Dirigenten und das Team spricht allerdings schon eine deutliche Sprache. Freuen kann man sich über eine Extra-DVD gefüllt mit acht Interviews, darunter Sänger, Komponist, und Dirigent. Zu deren besserem Verständnis wären Untertitel eine gute Alternative zu einem anderen schönen, aber insgesamt überflüssigen Zusatz gewesen: Aus der Vogelperspektive kann man die Bühne vor, während und nach der Vorstellung im Zeitraffer beobachten. Die Oper in Echtzeit ist aber deutlich eindrucksvoller.

Christoph Broermann

Fotos: Cory Weaver