Fundus    Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

 DVD-Besprechung

Die Meistersinger von Nürnberg

26.8.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

zurück       Leserbrief

Wagners Mikrokosmos

Während die Festspiele dieses Jahres vor sich hin brummen, werfen die DVD-Labels einen Blick zurück auf die des vergangenen Jahres, wo wegen ihrer Jubiläen die Komponisten Wagner und Verdi im Mittelpunkt des Interesses standen. Unter den vielen – auch durchschnittlichen – Produktionen hat EuroArts eine Aufführung veröffentlicht, die sicher zu den interessanten in der Werkgesichte von Wagners Meistersinger von Nürnberg gehört. Dem norwegischen Regisseur Stefan Herheim gelingt das Kunststück, einerseits seinen eigenen Subtext der Oper zu erzählen, und anderseits den eigentlichen Plot nicht völlig zu entfremden.

Auf der breiten Bühne des Großen Festspielhauses in Salzburg entfesselt er einen wahren Bildersturm um das Leben Richard Wagners. Für den Kenner der Historie gibt es viel zu entschlüsseln, für den Laien einfach viel zum Schauen, ohne dass man sich unterbelichtet vorkommen müsste. Der Entstehungsprozess der Oper wird in den Mittelpunkt gerückt, da Herheim und sein Team die Handlung in die Biedermeier-Zeit verlegen. Ein komponierender Sachs im Schlafrock als Parallele zu Richard Wagner komponiert begeistert in der bühnenausfüllenden Schusterstube während der Ouvertüre und baut sich aus Bauklotzen ein Nürnberg. Mit Hilfe einer geschickten Video-Projektion von Martin Kern wird der optische Coup eingeleitet. Denn Heike Scheeles Bühnenbild ist nicht nur ein Augenschmaus, sondern spielt förmlich mit den Maßen des Festspielhauses. Der fein verzierte Sekretär, an dem eben noch so fleißig komponiert wurde, steht nun wie die Andeutung einer Kirche auf der Bühne, und schon sind die darauf agierenden Personen die Ameisen in Wagners Mikrokosmos. Dass sich darunter die Verweise auf Wagners Personenkreis wie Schopenhauer, List, Ludwig II finden, ist der Verdienst der Maske sowie den herrlichen Kostümen von Gesine Völlm. Im zweiten Akt kristallisiert sich zwischen zwei Schränken der Platz vor den Häusern von Sachs und Pogner heraus. Zur Prügelfuge treiben die Märchenwesen von Grimm ihr Unwesen, eine riesige Vase fällt herunter – ihr normalgroßes Vorbild liegt am nächsten Morgen ebenfalls zerbrochen auf dem Fußboden der Schusterstube.

Herheim springt genüsslich zwischen den Ebenen hin und her, vermischt Geschichte, Fiktion, Interpretation und Oper. Das ist nicht immer einfach, aber auf jeden Fall höchst unterhaltsam – auch weil Herheim gerne mal zur Karikatur greift: Der völlig neue Gesangsstil des Walter von Stolzing haut die konservativen Meister glatt von den Beinen. Der interessanteste Einfall ist aber sicherlich, dass Herheim aus Beckmesser das jüngere Alter Ego von Hans Sachs macht, wobei man an dieser Stelle nicht weiterschreiben darf, um nicht alles vorweg zu nehmen.

Nicht verschwiegen werden darf aber, dass die beiden Darsteller von Beckmesser und Sachs – wie auch der Rest des Ensembles – enorm gefordert sind und das auch bravourös umsetzen. Dazu führen sie auch vokal das Ensemble an. Michael Volle und Markus Werba sind festspielwürdig! Volles Sachs setzt sich aus vielen Mosaiksteinchen zu einer genialen Leistung zusammen: Wortdeutlich, legatoreich, konditionsstark im Gesang; scharf charakterisierend, zwischen melancholisch und energisch-ruppig variierend im Ausdruck. Werba triumphiert als Beckmesser mit einem arrogant hochgefahrenen Bariton, der Witz und Tragik gleichermaßen vereint. Auf diesem hohen Niveau ist auch der Veit Pogner von Georg Zeppenfeld zu erleben. Positiv zu erwähnen sind der frische David von Peter Sonn sowie der kernig-erfahrene Fritz Kothner von Oliver Zwarg, der eine ordentlich besetzte Meisterriege anführt. Nicht ganz so glücklich wird man mit dem Liebespaar: Roberto Saccà und Anna Gabler stellen zwar alle Töne ihrer Partien Walther und Eva zur Verfügung, klingen aber zuweilen weder lieblich noch kräftig.

Während die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in der Einstudierung von Ernst Raffelsberger überzeugen kann, spielen die Wiener Philharmoniker ihren Wagner quasi nur vom Blatt. Auch Dirigent Daniele Gatti ändert nicht viel daran, dass diese Meistersinger etwas pauschal daherkommen. So dümpelt der Klang irgendwo zwischen pathetisch und schön vor sich hin, ein paar resolute Tempiwechsel sind angesichts der dynamischen Möglichkeiten dieser Oper einfach zu wenig. Die Ovationen im freundlich applaudierenden Publikum für Dirigent und Orchester halten sich in Grenzen, die Sänger werden sehr differenzierend beklatscht, Michael Volle wird frenetisch gefeiert. Auch das Regieteam bekommt großen Jubel ab, in dem aber auch einige – allerdings hoffnungslos unterlegene – Buhrufe zu hören sind. Wer einen tieferen Einblick in Herheims Interpretation haben möchte, der darf sich auf einen ausführlichen Einblick in Herheims akribische Probenarbeit freuen, den EuroArts als Bonusmaterial einbringt. Festspielwürdig ist diese DVD auch wegen der Kameraregie von Hannes Rossacher und der guten Tonqualität.

Christoph Broermann

Fotos: Roman Zach-Kiesling