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 DVD-Besprechung

Die Meistersinger von Nürnberg

9.8.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Ein Meisterwerk ist gelungen

Kaum ein anderes Werk in der Opernliteratur ist politisch so belastet wie Wagners Meistersinger von Nürnberg, und kaum ein anderes Werk ist so häufig als Zielscheibe geschichtlicher Aufarbeitung durch Regisseure benutzt worden wie eben dieses Werk, leider oft unter Verkennung der ursprünglichen historischen und musikalischen Interpretation. Regisseur Götz Friedrich ist sicher frei von allen Verdächtigungen, dieses Werk deutsch-tümelnd und die jüngere Geschichte ignorierend auf die Bühne zu bringen. Aber Friedrich liebt seinen Wagner auch, und so hat er mit dieser vorliegenden Inszenierung selbst ein Meisterwerk vollbracht, indem er werktreu, aber mit dem ihm eigenen Gespür für Beziehungsgeflechte und großem handwerklichen Können eine subtile Personenregie anlegt, die die Charaktere durchleuchtet und ihre Stärken und Schwächen schonungslos offenbart. Götz Friedrich zeichnet die Meistersingerzunft kritisch, aber nicht übertrieben karikierend, als eine gealterte, in ihren Konventionen erstarrte Gemeinschaft, die das Rentenalter durchschnittlich locker erreicht hat. Nur der fast jugendlich intellektuell wirkende Hans Sachs passt nicht in diese Gesellschaft. Die in der Wagnerinterpretation verbreitete Auffassung, die Charaktere in den Meistersingern seien aufgrund ihrer kleinen Fehler, ihres Spießertums und ihres Hanges zum Bloßstellen der anderen so besonders glaubwürdig und menschlich, greift Friedrich gerne auf und verstärkt sie noch: Seine glaubwürdige Personenregie kombiniert er mit ständigem pantomimischen Auffüllen der Orchesterpassagen, was der Darstellung der Meistersinger einen intimen und persönlichen Charakter verleiht.

Wenn Hans Sachs, vor einem großen Fliederbusch stehend, seinen ersten großen Monolog singt, oder, in der Schusterstube vor Butzenscheiben sitzend, sich die Haare rauft, meint man fast, die gute alte deutsche Oper zu sehen, mit dem Hauch von Heimat und Deutschtum. Aber eben nur fast. Friedrich wäre nicht er selbst, wenn er immer wieder, wenn auch dezent, auf die Folgen von Nationalsozialismus und politischem Missbrauch hinweist. Denn schon während des Vorspiels zeigt das Bühnenbild von Peter Sykora, wohin militanter Nationalismus führt. Wie auf einem Panorama aufgereiht kleine bunte Nürnberger Häuschen, die die Silhouette dieser Stadt zeigen, und die Einblendung des zerbombten Nürnberg von 1945 mit den katastrophalen Folgen der Zerstörung. Schon jetzt ist klar, Friedrich muss mahnen und erinnern. Großartig nutzt er das Licht, um bei der Schlussansprache des Hans Sachs ihn fast im Dunklen singen zu lassen und welschen Dunst mit welschem Tand – sie pflanzen uns in deutsches Land… Wie eine dunkle Vorahnung wirkt das. Hans Sachs singt die Zeilen, in seltsames Licht getaucht, mit sichtbaren Schmerzen im Anfluge eines Wahns - in derselben Gemütslage hängt sich Walther schließlich die Meisterkette um, und es kommt zur abschließenden Versöhnung zwischen Sachs und Beckmesser.

Ansonsten ist diese Inszenierung angelegt in der Zeit der Rezeptionsgeschichte des Werkes, und Bühnenbild und Kostüme von Peter Sykora und Kirsten Dephoff passen wunderbar in diese Epoche und zu dieser Inszenierung, die die menschliche Charakterisierung der Protagonisten und ihre unterschiedlichen Beziehungsebenen zueinander in den Mittelpunkt stellt. Die Premiere dieser Inszenierung war am 1. Mai 1993 in der Deutschen Oper Berlin. Die vorliegende Aufnahme ist ein Zusammenschnitt von drei Aufführungen des Werkes im Februar 1995.

Auch sängerisch und musikalisch ist mit dieser Aufnahme ein Meisterwerk gelungen. Allen voran Wolfgang Brendel als Hans Sachs. Bei der Premiere zwei Jahre zuvor gab er in dieser Partie sein Rollendebüt, und jetzt, als Endvierziger und damit als durchaus junger Sachs, legt er die Rolle so charismatisch an, dass man das Gefühl hat, Brendel ist Hans Sachs. Sein sonorer und geschmeidiger Bariton verleihen diesem Charakter Wärme und Ausdruck, aber er kann auch forcieren und den Sachs mit Ecken und Kanten singen. Während Brendel den Fliedermonolog im zweiten Aufzug sehr lyrisch und romantisch anlegt, gelingt der Wahnmonolog im dritten Aufzug als intellektuell-charismatischer Ausbruch. Und in seiner Schlussansprache brechen alle Emotionen aus ihm heraus, fast schon aggressiv reagiert er auf die Weigerung Stolzings, die Meisterehre anzunehmen. Wenn man Brendel jetzt zum Schluss seiner Karriere als altersweisen Sachs erlebt hat, dann ist diese Rückschau um fast 20 Jahre ein musikalisches Geschenk und gleichzeitig ein historisches Dokument, wie klug ein Sänger über zwei Dekaden eine Rolle immer wieder neu interpretieren, verändern und verinnerlichen kann.

Gösta Winbergh singt die Partie des Walther von Stolzing mit großer Eleganz und edlem Tenor, der mit einem geschmeidigen, baritonalen Timbre ausgestattet ist und trotzdem Strahlkraft in den Höhen versprüht. Winbergh begann erst spät mit dem Wagner-Fach, und diese Reife findet in einem fast schon Belcanto-Stil gesungenen Preislied seinen glorreichen Höhepunkt. Sein früher Tod verhinderte, dass Winbergh vielleicht zu den ganz großen Heldentenören des Wagner-Fachs gehören konnte. Eva Johanssons Eva ist lyrisch angelegt, mit ausdrucksstarken und ins jugendlich-dramatische Fach reichenden Ausbrüchen und reinen, ungebrochenen Spitzentönen. Uwe Peper als David ist altersmäßig und daher auch stimmlich dieser Rolle nicht mehr ganz gewachsen, sein heller Tenor besitzt zwar Durchschlagskraft, wird in den Höhen aber etwas eng. Ute Walther überzeugt als Magdalene mit jugendlichem Mezzo-Sopran und sauberer Deklamation. Alle fünf Stimmen, so unterschiedlich sie in ihrer Ausprägung angelegt sind, mischen sich im Quintett des dritten Aufzugs zu einer anrührenden Harmonie, die neben dem Preislied des Stolzing und der Schlussansprache des Hans Sachs zum musikalischen Höhepunkt wird.

Eike Wilm Schulte gibt den Sixtus Beckmesser mit wohltönendem Bariton und couragiertem Spiel. Victor von Halem lässt stimmgewaltig seinen schwarzen Bass als Veit Pogner erklingen. Differenziert und mit ausdrucksvollem Bariton singt Lenus Carson den Fritz Kothner. Die übrigen Meister, unter denen David Griffith als Kunz Vogelgesang und Peter Maus als Ulrich Eißlinger herausragen, singen ihre Partien individuell charakterisierend auf hohem Niveau. Peter Edelmann gibt den Nachtwächter mit jugendlichem Bass.

Der Chor der Deutschen Oper Berlin ist von Karl Kamper hervorragend eingestimmt und gefällt durch große Harmonie und Spielfreude. Der Wach-auf!-Chor im dritten Aufzug sei hier exemplarisch genannt. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin begeistert durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant sauber hervorstechen. Ist das Vorspiel zum ersten Aufzug kraftvoll und dynamisch, so erklingt das Vorspiel zum dritten Aufzug zart und fast melancholisch. Der Dirigent Rafael Frühbeck de Burgos ist als Wagner-Interpret bisher eher selten in Erscheinung getreten. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin wird von ihm jedoch hervorragend und diszipliniert geleitet, mit einem deutlichen Hang zu jugendlich-beschwingten und eher leichten Meistersingern, die großen lauten Blech-Passagen sind dabei dezent zurückgenommen. Frühbeck de Burgos arbeitet wunderbare Farbnuancen heraus, wechselt klug die Tempi und trägt die Sänger, besonders im großen Quintett. Seine musikalische Interpretation unterstreicht den Regieansatz von Götz Friedrich.

Das Berliner Publikum honoriert die Gesamtleistung mit großem, anhaltendem Beifall. Technisch bietet die DVD ein scharfes, kontrastreiches Bild und einen überzeugend abgemischten Klang. Beeindruckend die Kameraführung und die intelligente und auf den Ton sitzende Bildregie von Brian Large, die die Aufführung zu einem akustischen und optischen Großereignis vor dem heimischen Fernseher werden lässt. Es ist nicht übertrieben, diese DVD als Referenzaufnahme dieses Werkes zu bezeichnen. Ein wahres Meisterwerk ist gelungen!

Andreas H. Hölscher

Fotos: EuroArts Music International