Fundus    Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

 DVD-Besprechung

Matilde di Shabran

18.8.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

zurück       Leserbrief

Belcanto treppauf, treppab

Matilde di … wer? Matilde di Shabran! Selbst erfahrene Opernhörer dürften Rossinis Oper bislang wenn überhaupt nur auf dem Papier begegnet sein, selbst große Opernführer schweigen sich über das Werk aus. Decca veröffentlicht nun eine hochkarätig besetzte Aufführung aus dem Jahr 2012 auf DVD und macht die Wiederentdeckung nach einer guten, aber nicht maßstabssetzenden CD-Aufnahme von 2004 damit vollständig. Kein Freund des italienischen Belcanto sollte sich diese Oper entgehen lassen.

Typisch für den Meister aus Pesaro ist die Entstehungsgeschichte. Rossini schreibt die Oper innerhalb von zwei Monaten, und das gelingt nur, weil ihm ein anderer Komponist und Anleihen aus seinen anderen Werken helfen. Erst nach der Uraufführung 1821 in Rom überarbeitet Rossini seine 32. Oper und ersetzt die fremden Kompositionen. Diese revidierte Fassung liegt auch der Aufführung bei den Festspielen in Pesaro zu Grunde, die seit 1996 zur Wiederentdeckung der semitragischen Oper maßgeblich beigetragen haben. Leider verkaufen Mario Martones Inszenierung und vor allem das Bühnenbild von Sergio Tramonti das Werk etwas unter seinem Wert, auch wenn die Handlung, wie so oft bei Rossini, nur das Trampolin für die Musik darstellt. Der gefürchtete Krieger Corradino Eisenherz wird seinen Vorsätzen untreu, sich nie von einer Frau erobern zulassen, als er Mathilde di Shabran kennenlernt. Die eifersüchtige Gräfin d‘Arco diskreditiert Mathilde, indem sie es aussehen lässt, als habe Mathilde Edoardo, den gefangenen Sohn von Corradinos Erzfeind Raimondo Lopez, entkommen lassen. Corradino verurteilt Matilde zum Tode, doch der trottelige, aber liebenswerte Poet Isidoro und Edoardo wenden die Handlung wieder zum Guten.

Martone bemüht sich sichtlich, sowohl die komischen als auch die tragischen Elemente der Oper zum Vorschein zu bringen. Bei der heiteren Seite der Medaille gelingt ihm das wesentlich besser, lässt er sich doch ein paar schöne Bewegungsabläufe einfallen. Möglichkeiten dazu gibt es genug, denn im Mittelpunkt der sehr schlichten, beinahe kahlen Bühne stehen zwei gigantische, sich umschlingende Wendeltreppen, die sich wie eine Spieluhr umeinander drehen können. Die Drehbühne ist montiert auf einer kleinen, dreistufigen Empore. Eine Art Planke, die nach vorne über den Orchestergraben gefahren wird, soll den felsigen Abgrund darstellen, in den Matilde gestürzt werden soll. Was vielleicht effektvoll wirken soll, sieht nicht wirklich schön aus, ist auf Dauer doch sehr schnell ermüdend und voraussehbar. Wesentlich gefälliger für die Augen sind die Kostüme von Ursula Patzak. Mit sportlichem Einsatz werden die Sänger die Treppen rauf und runter geschickt, verstecken sich darauf und dahinter und fahren singend aneinander vorbei. Die Musik wird immerhin gut in Bewegungen umgesetzt, auch die Kommunikation untereinander ist von der Regie deutlich herausgearbeitet. Doch das tragische, ernste Element gerät darüber etwas ins Hintertreffen und wird vor allem in ruhender Statik und stechenden, wahlweise betroffenen Blicken vorne an der Rampe ausgedrückt.

Musikalisch ist das Verhältnis etwas ausgewogener. Rossinis oftmals wahnwitzige Musik balanciert genau auf der Grenze zwischen Witz und Dramatik, und die Sänger mischen mit vielseitigen Möglichkeiten mit. Nicola Alaimo als Arzt Aliprando und Simon Orfila als Turmwächter Ginardo tragen mit kräftigen Stimmen zum Erfolg mit bei. Ein Garant für gute Laune ist der großartige Paolo Bordogna als Poet Isidoro, eine Mischung aus Rossini-Figaro und Mozarts Leporello. Chiara Chialli überspielt als Contessa D’Arco stimmliche Schärfen mit zickiger Überheblichkeit. Fast zur Hauptfigur wird dank Anna Goryachova die eher kleine Hosenrolle des Edoardo. Grandios und maßstabsetzend wird die Aufführung dank Olga Peretyatko und Juan Diego Florez. Letzterer wiederholt triumphal die Rolle, mit der ihm 1996 sein großer Durchbruch gelingt, und ist in jeder Hinsicht gereift, in den Möglichkeiten der Variationen noch vielseitiger. Auch schauspielerisch vermag er den kalten Herrscher mit Liebeskummer sehr glaubhaft, auch humorvoll umzusetzen. Natürlich kann er nicht mit dem natürlichen Liebreiz aufwarten wie die Peretyatko, die mit der Matilde wohl eine Paradepartie gefunden hat. Selten hat man stimmliche und szenische Identifikation in dieser Vollendung erlebt. Positiv dazu beigetragen haben wird, dass Olga Peretyatko genau in dieser Zeit auch ihren Mann und gleichzeitig den Dirigenten dieser Aufnahme geheiratet hat. Michelle Mariotti trägt bei seinem Dirigat natürlich nicht nur seine Frau auf den Händen, sondern auch den Rest des Ensembles. Das Orchestra del Teatro Comunale di Bologna animiert er zu einem frischen, beschwingten Spiel, das von der Ouvertüre an überzeugt. Rossinis vokalen Wahnwitz treibt er zum Ende der zahlreichen Ensembles an die Grenzen des Möglichen.

Das Publikum in Pesaro weiß genau einzuschätzen, was es gerade erlebt, und feiert die Musiker schon während der Vorstellung. Nach einem besonders brillanten Quintett im ersten Akt gibt es minutenlangen Applaus und dank Tiziano Mancinis Video-Regie kann man diesen auch auf der DVD erleben. Eine sehr gefällige, schnörkellose Kameraführung verfolgt das Geschehen und hinterlässt damit einen besseren Eindruck als der ein bisschen zu spröde Aufnahmeton. Gerade bei so unbekannten Opern erweist sich die Untertitelfunktion als äußerst hilfreich. Schade, dass Decca nicht die Chance nutzt, die Oper und diese Produktion mit einem schönen Backstage-Material noch gründlicher vorzustellen. Der gute Booklettext ist da nur ein kleiner Anfang. Dennoch: Wer auf der Suche ist nach unbekannteren Opern in hochwertiger Qualität, der sollte beherzt zu dieser DVD greifen. Matilde di Shabran dürfte bald wieder in aller Munde sein.

Christoph Broermann