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 DVD-Besprechung

Forgotten Memories

13.4.2015

 

 

Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

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Etwas wegwerfen kann man jederzeit

Jirí Kylián hat Tanzgeschichte geschrieben und miterlebt. Vierundzwanzig Jahre lang hat er die Geschicke des Netherlands Dans Theaters gelenkt und geprägt, bis 2009 blieb er dem NDT als Choreograph verbunden. Heute ist er auf der ganzen Welt unterwegs und studiert seine Repertoirestücke mit den großen Kompanien ein.

Unter seiner Ägide avancierte das Ensemble des NDT zu Weltruhm und gibt bis heute Gastspiele auf der ganzen Welt. Kylián baute das NDT aus, führte zunächst das NDT II ein, ein Ensemble für junge Tänzerinnen und Tänzer zwischen 16 und 21 Jahren. Dann folgte das NDT III, ein Ensemble für Mitglieder ab 40 Jahren bis zum Tod, wie Kylián sagt. Seine Kreativität ist unerschöpflich, seine Phantasie ist grenzenlos. Stücke von Kylián tragen eine unverwechselbare Handschrift und sind doch zeitlos schön anzusehen. Fußend auf der klassischen Balletttechnik, kreiert er tiefgründige, humorvolle, manchmal kafkaesk anmutende Bewegungs-kompositionen. Fließende, schnelle, kleine Bewegungen, den Raum einnehmende Gruppenbilder. Bei vielen der raffinierten Duette, die Kylián erschuf, hat man als Betrachter das Gefühl, den frischen Wind auf der Haut zu spüren, der von den Bewegungen der Tänzer ausgeht.

Die Autoren Don Kent und Christian Dumais-Lvowski haben den Choreographen vor ihre Kamera gebeten, und er ist dieser Einladung gefolgt. Nicht ohne ein Augenzwinkern stellt er in der Dokumentation klar, er wolle seinen Erfahrungsschatz teilen. Sei es nun durch eine Filmdokumentation oder durch die Arbeit mit Tänzern im Studio. Was das Gegenüber damit anfängt, sei diesem überlassen. Etwas Unbenötigtes wegwerfen könne man schließlich jederzeit. Und so folgen die Autoren Kylián auf den Spuren seiner Kindheit in Prag und begleiten ihn in den Ballettsaal seiner Jugend am Prager Konservatorium. Der Choreograph erzählt von seiner Ausbildung an der Londoner Royal Ballet School; zeigt Fotos von sich und John Cranko, der sein choreographisches Talent förderte; lenkt den Blick des Zuschauers auf sein Leben, kein Sprecher aus dem Off kommentiert das Geschehen. Immer wieder wird das Portrait von kurzen Einlassungen unterbrochen, in denen Häppchen aus Kyliáns Choreographien gezeigt werden. Dieser beweist durch seine Rückschau, dass Tanz nicht losgelöst von politischen Ereignissen steht. Kylián erlebt den Prager Frühling mit, berichtet eindringlich von den in die Stadt einrollenden russischen Panzern. Die Autoren setzen an solchen Stellen Archivmaterialen ein, die die historische Tragweite des Erzählten visualisieren. Einige kunstvolle Überblendungen zwischen Tanzszenen und Portrait wirken überflüssig. Charmant hingegen die Bilder von Kylián auf seinem Fahrrad in Den Haag, wie er in die Pedale tritt und mit den Armen fröhlich zu tanzen beginnt.

Kyliáns Lebensgefährtin und Muse, Sabine Kupferberg, kommt ebenso zu Wort und wirft einen Blick zurück auf die gemeinsame Zeit.

Ein schönes Portrait ist es geworden, ruhig, unprätentiös und gelassen. Jedoch bedarf es ausdrücklich der Information, dass Kylián weitere Projekte plant. Ein unaufmerksamer Zuschauer könnte sonst zu dem Schluss kommen, Kylián verabschiede sich hiermit in den Ruhestand.

Die vorliegende DVD ist in englischer Sprache mit Untertiteln in verschiedenen Sprachen erschienen. Als zusätzliches Bonusmaterial befindet sich das Ballett Wings of Wax mit auf der DVD. Das Ballett ist sehenswert, aber die Aufzeichnung ist recht düster geraten. Auch wenn diese Bühnenadaption laut Booklet mit dem Prix Italia 2009 Film Award ausgezeichnet wurde: Es sind weitaus gelungenere Aufzeichnungen von Kyliáns Stücken auf DVD erhältlich.

Jasmina Schebesta, 13.04.15

 

Fotos: Arthaus