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 DVD-Besprechung

Juliet & Romeo

29.4.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Die andere Seite

Romeo und Julia, die vielleicht schönste und zugleich traurigste Liebesgeschichte der Welt, in wie viel Varianten haben wir sie schon erlebt. Die Gattung des Handlungsballetts ist darüber fast verloren gegangen. Und auch die Frage, warum uns eigentlich seit 1597 nichts Schöneres, Ergreifenderes und Gescheiteres eingefallen ist, ist einigermaßen frustrierend. Was macht ein Genie wie Leonard Bernstein mit diesem Stoff? Er zeigt uns die West Side Story – Romeo und Julia auf Amerikanisch. Und davon wird es auch nicht (viel) besser. Sollten wir also Romeo und Julia nicht endlich in Frieden ruhen lassen? Nein, sagt der schwedische Choreograf Mats Ek und versucht sich an einer neuen Version. Die allerdings hat es in sich und zeigt das Ganze mal von einer völlig anderen Seite. Konsequent heißt das Ballett, das Ek im vergangenen Jahr auf der Bühne der Königlich Schwedischen Oper in Stockholm erstmals inszenierte, Juliet & Romeo. C Major hat die Inszenierung jetzt als DVD in gewohnt spartanischer Weise auf den Markt gebracht. Ein dünnes Begleitheftchen enthält neben den „Pflichtangaben“ einen immerhin interessanten Text in drei Sprachen und ist mit der DVD in gewohnt billiger Plastikhülle untergebracht. Das wird dem Inhalt in keiner Weise gerecht.

Freizügig hat der Choreograf aus dem Gesamtwerk von Pyotr Ilyich Tchaikovsky Stücke ausgewählt, die zu seiner neuen und so nie erlebten Interpretation passen. In vielerlei Hinsicht ist die Deutung Eks bemerkenswert. Es beginnt mit einem neuen Trend, der sich langsam, aber nachhaltig durchsetzt: Auch ältere Tänzer bekommen eine Chance auf der Bühne. Und was Arsen Mehrabyan als Vater und Ana Laguna als Amme zeigen, beweist, dass Ausdruckstanz nicht nur eine Frage von Technik, sondern auch und vor allem von Lebenserfahrung ist. Das fügt sich in den Ansatz Eks wunderbar ein. Mit Mariko Kida als Julia und Anthony Lomulja hat er Tänzer besetzt, die nicht nur an die Grenzen ihrer Kondition gehen, sondern auch noch einmal eine völlig neue Sicht auf die Romanze gewähren. Sie bleiben die Liebenden, die aber keine Requisiten wie Giftfläschchen oder Balkone brauchen. Einige wenige, von den Tänzern verschiebbare Wände mit geriffelten edelstahlfarbenen Flächen reichen aus, die Räume zu entwickeln. Magdalene Auberg reduziert die Trikots auf charakterisierende, immer aber auch körperbetonte Kostüme, die in der Ballszene allenfalls mal seidenumflossen bei den Damen und mit verschrobenen Hüte bei den Herren die Situation verdeutlichen. So kann man die eher zeitgenössische als ballettöse Choreografie in ihrer ganzen Kraft und Ausstrahlung genießen, zumal die Tänzerinnen und Tänzer sich in einem Licht bewegen, das Linus Fellbom zwar ausgesprochen sparsam einsetzt, aber niemals so, dass die Akteure gänzlich im Schatten verschwinden. Ohnehin bleibt Kida stets im Mittelpunkt der Handlung. Sie ist es, die die Entscheidungen trifft. Die Gefahren, in die Julia und Romeo geraten, gehen bei Ek nicht von irgendwelchen Giften aus, sondern werden aus der Gesellschaft geboren – und damit an die rechte Stelle gerückt.

Das überzeugt mehr als die Kameraführung von Thomas Grimm, die man sich deutlich präziser gewünscht hätte. Ek gelingt insgesamt eine Inszenierung, die einer uralten Geschichte eine neue, vielleicht bessere Sichtweise abgewinnt. Da hätte es nicht einmal die so genannten Segways auf der Bühne gebraucht. Und so darf sich der Käufer dieser DVD auf eine dichte, eindringliche Handlung und große tänzerische Leistungen auch des Königlich Schwedischen Balletts freuen.

Michael S. Zerban

Fotos: Gerd Weigelt