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DVD-Besprechung

Le nozze di figaro

29.5.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Noch nicht am Ziel

Die Festspiele in Glyndebourne und Mozarts Le nozze di Figaro sind eine Geschichte für sich, wie ein recht interessanter, aber auch subjektiver Text von Graham Rogers berichtet. Etwas überheblich klingt der Titel Annährung an die Perfektion: Figaro in Glyndebourne, die DVD demonstriert indes, dass Annähern ein relativer Begriff ist. Zugegeben: Michael Grandages Produktion von den Festspielen 2012 kann man sich schön anschauen. Die Veröffentlichung von Opus Arte bietet sich schon von daher an, da die Festspiele die Aufführung live und kostenlos übertragen ließen. Grandage verlegt die Handlung um einen tollen Tag im gräflichen Schlosses Almavivas in die flippigen Sechziger. Christopher Oram gibt den Darstellern die passenden Kleidungsstücke dazu, und die Sänger machen in der nostalgischen Mode einen überaus guten Eindruck. Orams weite Räume auf der Drehbühne dagegen sind sicherlich schick, könnten aber im Orient, Spanien oder sonst wo zu finden sein.

Das Grafenpaar fährt zur Ouvertüre gleich mit dem Oldtimer auf der Bühne ein. Dieser einzige wirklich optische Knüller der Produktion provoziert auch gleich Szenenapplaus. Denn überwiegend fällt Grandage in eine konventionelle Bewegungssprache zurück, in der man den Geist der Hippies spüren könnte. Immerhin lädt die Tanzeinlage des dritten Aktes zum Mitklatschen ein. Langeweile stellt sich in der Regie von Grandage auch nicht ein. Sehr liebevoll setzt er die Figuren in Szene, achtet darauf, dass sich jeder Charakter bemerkbar machen kann und weiß auch den Chor einzubinden. Doch nutzt er die Möglichkeiten der zeitlichen Verlegung noch zu wenig. Dass die Jugend der Sechziger sich gegen das bewährte Establishment auflehnt, wäre doch mit dem unterschwelligen revolutionären Geist der Oper bestens vereinbar gewesen. Doch davon spürt man hier recht wenig. Die ersten beiden Akte sind in der Stimmung deutlich differenzierter – etwa im handfesten Ehestreit der Almavivas – als die letzten beiden, wo man sichtlich auf das Happy End hinarbeitet. Die Spielfreude der Sänger ist sehr zufriedenstellend mit ruhig geführter Kamera eingefangen. Aufgewertet wird die DVD durch zwei Beiträge, die recht ausführlich und mit vielen Aussagen von Beteiligten zeigen, wie die Aufführung in Glyndebourne entstanden ist.

Glücklich macht auch die vokale Seite der DVD, doch gibt es im Katalog zu viele hochkarätige DVDs, als dass diese einen Spitzenplatz darin einnehmen könnte. Audun Iversen als Graf ist ein Paradebeispiel für die Leistungen: Er singt technisch solide, bietet auch eine sehr schöne Stimme, doch fehlt der Interpretation einfach der entscheidende Aha-Effekt. Ähnliches lässt sich auch bei Susanna und Gräfin feststellen. Lydia Teuscher vereint in der Susanna feminine Optik und Stimme, Sally Matthews klingt etwas ältlicher, weil vokal abgedunkelt, als sie die Rolle der Gräfin spielt. Einzig Vito Priante traut sich als Figaro mehr Akzente zu, setzt die Rolle mit jugendlichem Elan und auftrumpfender Stimme bestens in Szene. Auch Isabel Leonard hört und sieht man als Cherubino gerne zu, weil sie den Pagen als jungen, coolen Hans Dampf spielt und dazu auch sehr differenziert singt. Stimmlich nicht unanfechtbar, aber mit voller Vitalität sind Andrew Shor als Bartolo und Nicholas Folwell als Antonio. Alan Okes fällt als Basilio im Ensemble mit unsicherer Intonation leicht unangenehm auf. Hier hätten die Tontechniker etwas nachbessern dürfen, denn ansonsten freut man sich über einen recht ausgeglichenen Klang, in dem jede Stimmlage vernehmbar ist. Das Orchester ist zu Gunsten der Sänger leicht zurückgenommen. Robin Ticciati peitscht das Orchestra oft the Age of Enlightenment in der Ouvertüre zu einem etwas aggressiveren Grundton an, interpretiert dagegen etwas zahmer und immer mit Sinn für feinen Stimmungswandel. Die Arien untermalt er mit einem fast zärtlich-sentimentalen Klang. Das häufige, aber auch nie unpassende Lachen des Publikums belegt, dass dieser Figaro durchaus Freude machen kann. Der kräftige, aber nie völlig enthusiastische Applaus zeigt aber auch, dass man sich der Perfektion noch etwas mehr annähern kann.

Christoph Broermann

Fotos: Naxos