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 DVD-Besprechung

La fanciulla del west

26.8.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Nostalgisches Hollywood trifft kalten Realismus

Puccinis La fanciulla del West fristet im Schatten von Tosca und La Bohème ein recht unbekanntes Schattendasein, weil der Komponist irgendwie vergessen hat, dieser Oper ein richtiges vokales Schmankerl zu geben. Wenn man sich die Neuinszenierung von Christoph Loy ansieht, die am Royal Swedish Opera House im Februar 2012 aufgezeichnet wurde, kommt der Gedanke auf, dass das musikalisches Kalkül ist. So, wie man bei der Oper an große Arien denkt, drängen sich beim Begriff Western Bilder von wilden Indianern, malerischen Bergen, üppigen Saloons, wilden Cowboys und heißen Cowgirls auf.

Und tatsächlich reitet und rennt Minnie zum Vorspiel der Oper durch die Andeutung einer Prärie – um dann mit gezogenen Waffen aus der Leinwand auszubrechen, auf der der Kurzfilm gezeigt wurde. Jetzt wird der Blick frei auf den kalten Bretterraum von Herbert Murauer. Das ist weniger ein Saloon als ein trister Rückzugsraum, der aber doch noch wärmer ist als die raue Realität draußen vor der Tür. Diese Wärme, so zeigt Loy sehr deutlich, geht von Minnie aus, die sich im kleinen Kabuff nebenan vom Cowgirl zu der Dame des Hauses wandelt, deutlich ausgedrückt in den Kostümen von Murauer. Für die Goldgräber, eine Gesellschaft voller Antihelden und zerstörten Hoffnungen, ist sie eine Projektion der Hoffnung, irgendwo zwischen Mutter und Geliebter. Loy bringt diese Truppe immer wieder in Unordnung, um dann neue Konstellationen zu formen, wo einer von ihnen aus der Masse heraustreten kann. Auch die Dreiecksbeziehung zwischen Minnie, dem Sherriff Jack Rance und dem Vagabunden Dick Johnson wird von Loy glaubhaft und nie klischee-überfrachtet in Szene gesetzt. Immerhin wird angedeutet, dass Minnie auch einen guten Draht zu Jack Rance zu haben scheint. Mit Johnson gewinnt sie eine Facette des Frauseins für sich zurück, die sie verloren glaubte. Wenn sie sich am Ende vor Johnson wirft, um ihn vor Rance und den Goldgräbern zu schützen, wirkt das nicht heldenhaft, sondern nur verzweifelt – und damit umso glaubhafter. Der Verlust für die Goldgräber, die am Ende völlig enttäuscht zurück bleiben, hat suggestive Wirkungskraft. Das Element der Leinwand greift Loy in seiner Inszenierung immer dann auf, wenn hollywoodreife Szenen stattfinden – etwa das Poker-Spiel zwischen Minnie und Rance. Ein nostalgisches Gefühl wird erzeugt, wenn die Szene in schwarz-weiß auf der Rückwand zu sehen ist.

Ton und Kamera sind bestens darauf abgestimmt, das Geschehen glaubhaft einzufangen und enttäuschen nicht. Kameraführung und Klang sind tadellos. Leider aber werden die weiteren Möglichkeiten der DVD wieder einmal nicht genutzt. Weder Interviews noch eine andere Beiträge sind vorhanden, um Werk und Ausführende vorzustellen. Der Applaus des Publikums scheint nicht mit der Applausordnung übereinzustimmen, da er in völlig falschen Momenten auf und abschwillt. Immerhin trägt neben der gelungenen Regie auch die musikalische Seite dazu bei, für die Oper eine Lanze zu brechen. Das ist vor allem Nina Stemme in der Titelrolle zu verdanken, die allen beweist, dass sie nicht nur Wagner sondern auch italienische Oper singen kann. Ihre warme Stimme ist auf die Partie der Minnie perfekt zugeschnitten. Nicht ganz auf diesem Niveau, aber dennoch mit überdurchschnittlichen Leistungen empfehlen sich John Lundgren und Aleksandrs Antonenko als Jack Rance und Dick Johnson. Beide führen ihre Stimmen etwas eng und glanzlos in die Höhe, beide überzeugen mit ausdrucksstarken Stimmen und körperlicher Präsenz. Das ist ein glaubhaftes Trio, das Loys Regie und Puccinis Musik auf den Punkt serviert. Höchst zufriedenstellend auch ist die lange Liste der Comprimari.

Das Royal Swedish Opera Orchestra unter der Leitung von Pier Giorgio Morandi unterlegt die Szene mit einem süffigen Klangteppich, gespickt mit herrlichen Effekten. Der Wechsel zwischen Leidenschaft und schroffem Realismus gelingt den Musikern sehr gut und ist das passende Pendant zur Bühne. Diese Veröffentlichung von EuroArts ist eine interessante, hörenswerte Alternative auf dem DVD-Markt, auf dem es bislang nur etwa sechs andere Produktionen zu sehen gibt. Loys Inszenierung ist live in der Saison 2013/2014 an der Oper Frankfurt zu sehen.

Christoph Broermann

Fotos: Alexander Kenney