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 DVD-Besprechung

El Niño

3.1.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Berührende Multimedia-Oper

Das ist keine Aufzeichnung für einen gemütlichen Nachmittagskaffee an einem Sonn- oder Feiertag, diese El-Niño -Aufführung ist etwas für ausgesprochene Liebhaber und Kenner moderner, genauer minimalistisch komponierter Musik, die trotz aller kompositorischen Sparsamkeit erstaunliche emotionale Stärke zeigt und berührt.

John Adams, der 1947 in den USA geborene, akademisch ausgebildete und als Vertreter der modernen Musik anerkannte Komponist, hat seine Kompositionen selbst als „ Ungewöhnliche Musik“ bezeichnet, die häufig durchaus kontrovers, aber meist erfolgreich aufgenommen wurden. Diese Musikaufführung wird mit Recht als Multimedia-Oper bezeichnet. Gleich zwei „Handlungsebenen“ geben den Boden für die Aufführung. Während auf einer großen Leinwand Videoszenen aus der Wirklichkeit abwechseln, treten darunter – oft vor einer grellfarbigen Wand – auf einer überschaubaren Fläche Solisten und Chor auf. Der Chor trägt knallrote Kostüme, passend zu seinen meist schrillen Gesangseinlagen, ein Tenortrio ist bunt gekleidet. In El Niño greift Adams auf sehr spezielle Weise auf die Weihnachtsgeschichte zurück, und Zuhörer und Zuschauer sind gut beraten, diese zu kennen. Zum einen verwendet Adams für die Texte gleich drei Sprachen – Englisch, Spanisch und Latein – zum anderen werden die rezitationsähnlichen „Bilder“ ohne Kostüme oder Bühnendekoration, nur mit einigen Videoclips unterlegt gezeigt, und schließlich durchziehen das ganze Stück Tanzeinlagen, in denen drei Tänzer Elemente des Stückes und der Musik frei interpretieren. Anhaltspunkte zur Wirklichkeit ? Sehr wenige und wenn, dann solche, die eher zusätzlich verstören: Der eingeblendete, unscharfe Baum mit Lichtern, ein Liebespaar in einem Auto, abendlich-dunkle Straßenszenen, zwei Cops, die fasziniert und bis zu Tränen gerührt in den Mond schauen und darin den Stern von Bethlehem sehen, eine skulpturenähnliche Tänzerin auf sonnenglühendem Fels – vielleicht… Vieles, eigentlich das meiste bleibt rätselhaft und wird nicht aufgelöst. Während im ersten Teil Assoziatives überwiegt, ist im zweiten Teil eine größere Nähe zur Weihnachtsgeschichte erkennbar. Gleichwohl verliert die von Peters Sellars besorgte Inszenierung zu keinem Moment ihre Spannung.

Die ungewohnte Musik entwickelt sich zu langen, selten harmonisch gebundenen Klanglinien, die dann wieder durch rhythmische Passagen fast ohne Klang abgelöst werden, vieles erweckt den Eindruck musikalischer „Geräusche“. Bei anderen Bildern sind spätromantische Phrasen erkennbar, aber auch tangoähnliche Rhythmen, die dem Werk eine vielfarbige Wirkung verleihen. Diese ungewohnte, anspruchsvolle Musik meistert das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Leitung von Kent Nagano differenziert und souverän.

Die Hauptrollen, es könnten Figuren der Weihnachtsgeschichte sein, sind musikalisch bestens besetzt. Dawn Upshaw gibt mit ihrem weichen, lyrischen Sopran eine wunderbare Erzählstimme, Lorraine Hunt Lieberson steht ihr mit einem freundlichen Mezzosopran in nichts nach, Willard White überzeugt und berührt mit mächtigem, emotional gesungenen Bariton. Einen merkwürdigen, aber gut eingestimmten Kontrast bilden die drei Countertenöre Daniel Bubeck, Brian Cummings und Steven Rickards. Die schwierigen Interpretationen in den Tanzszenen meistern Daniela Graca, Nora Kimball und Michael Schumacher überzeugend.

Arthaus hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin diese Pariser Uraufführung übernommen und für DVD so bearbeitet, dass aus der viel umjubelten Aufführung von 2000 eine lohnende Ergänzung für die Sammlung des Kenners und Liebhabers moderner Musik geworden ist. Als DVD bringt die Aufzeichnung, die Peter Maniura bearbeitet hat, eine ausgezeichnete Klangqualität mit vielen Nuancen. Auch wenn die Bildregie mit Schnitten und Perspektivwechseln nicht spart, kommt immer mehr ein Gesamteindruck zustande, der die Emotionalität und Dichte der Aufführung gut erkennen lässt. Mit den zahlreichen Sprachwechseln dürfte selbst der konzentrierte und vorinformierte Zuschauer seine Probleme haben, sie hätten durch ein ausführlicheres Textbooklet aufgefangen werden können.

Insgesamt gesehen ist die DVD-Aufzeichnung dieser Multimedia-Oper von Adams ein Gewinn, die die Sammlung von Liebhabern moderner Musik und experimenteller Aufführungen bereichern wird.

Horst Dichanz

Fotos: Catherine Ashmore