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 DVD-Besprechung

Don Giovanni

16.10.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Zwei Kindsköpfe im Eros-Universum

Eigentlich müsste man diesen Don Giovanni aus dem Festspielhaus Baden-Baden in einer DVD-Box finden: Zusammen mit der schon aufgeführten Così fan tutte und der noch ausstehenden Inszenierung von Le nozze di figaro. Denn Regisseur Philipp Himmelmann und sein Bühnenbildner fügen die drei Opern unter den Überbegriffen Universum und Jahreszeiten zusammen, was an sich eine sehr interessante Idee ist. Auf die CosÌ fan tutte als erwachende Frühlingsliebe hätte eigentlich Figaros Hochzeit folgen sollen, doch aus besetzungstechnischen Gründen musste Don Giovanni vorgezogen werden. Dass der jetzt so isoliert von Sony Classical veröffentlich wird, ist schade, da so eine große Chance vertan wird, einen Mozart/DaPonte-Zyklus unter einem großen Bogen zu zeigen.

Glücklicherweise funktioniert Himmelmanns Interpretation auch ohne diesen Bogen und gegenüber dem Besuch im Festspielhaus, wo die Aufführungen im Mai 2013 aufgenommen wurden, hat die DVD sogar einen Vorteil. Im zweiten Akt muss Bühnenbildner Johannes Leiacker die große Schwäche seines an sich recht schönen, konzentrierten Einheitsbühnenbildes kompensieren, weil es darin keine Fenster und Türen gibt. Eine vorhangähnliche Konstruktion kann nun blitzschnell in jeder Höhe der Bühne Öffnungen erzeugen, was auf Dauer aber sehr langweilig wird, da sich der überwiegende Teil des zweiten Aktes vorne an der Rampe abspielt. Dank der sehr geschickten Kameraführung von Jérémie Cuvillier, die sich gerne auch nach der musikalischen Intensität richtet, werden diese eintönigen Momente dadurch kaschiert, dass die Personenführung und die darstellerischen Leistungen nach vorne geholt werden.

So kann man viele kleine Details wie Mimik und Gestik noch genauer erkennen, die auf der recht großen Bühne schnell verloren gehen. Noch deutlicher fällt auf, wie akribisch Himmelmann an den einzelnen Charakteren gearbeitet hat, wobei wie so oft Don Ottavio doch sehr blass bleibt. Umso deutlicher kommt die Titelfigur und sein Kumpan Leporello hier zum Zuge, was aber auch an den beiden Darstellern liegt. Mit Erwin Schrott und Luca Pisaroni wirbeln zwei „Rampensäue“ par excellence über die Bühne, die sich – im positiven Sinne – wie die Kindsköpfe benehmen. Dank der Kamera entdeckt man, wie die beiden mit Blicken kommunizieren, sich stumm abstimmen oder miteinander amüsieren. Da schaut man wirklich gerne zu, und die beiden zu hören, macht genau so viel Spaß. Erwin Schrott ist ein Testosteron-Libertin durch und durch, auch mit stimmlichen Freiheiten, aber stets im Sinne des Textes. Luca Pisaronis Leporello, hier genau so gefährlich wie tapsig, ist derzeit ohnehin nahezu konkurrenzlos. Charles Castronovos Ottavio ist stimmlich dank dunklem Timbre etwas präsenter als die Figur auf der Bühne. Jonathan Lemalu punktet als Masetto mit Kraft und Präsenz. Mario Luperi ist mit recht flatterhaftem Bass fast schon grenzwertig, aber mit der elektronischen Verstärkung aus dem Off ein irgendwie doch passender Komtur. Bei den Damen freut man sich über die intensive Donna Anna von Anna Netrebko, die sich ohne jegliche Übertreibungen um Ensemblearbeit bemüht. Katija Dragojevic wirkt vor dem Mikrofon unsauberer als live, ihre Zerlina besticht daneben durch einige sehr schön zärtliche Momente. Auch die technischen Defizite von Malena Ernman hört man durch die gute Tontechnik recht deutlich, im Gegenzug aber auch ihre textliche und emotionale Durchdringung der Partie.

Musikalisch genial wird die Aufführung durch das Dirigat von Thomas Hengelbrock und das Balthasar-Neumann-Ensemble. Auf der einen Seite schwelgt man in einer sensiblen Begleitung. Im Klang des Ensembles kann man sich schier baden, die instrumentalen Leistungen sind tadellos. Auf der anderen Seite muss man immer wieder genau hinhören, wie fein im Orchestergraben von Szene zu Szene, ja von Moment zu Moment differenziert wird. Und dann kommen noch diese Augenblicke, beispielsweise im Finale des zweiten Aktes, in dem Hengelbrock die dramatische Peitsche auspackt und eine zusätzliche Spannung aus dem Graben auf die Bühne übergreift.

Vom Publikum wird diese Aufführung sehr stark gefeiert, wobei die beiden Medienlieblinge Anna Netrebko und Erwin Schrott die lautesten Ovationen ernten. Aber oberflächlich ging es vermutlich auch bei der Veröffentlichung der DVD nur um das ehemalige Liebespaar. Denn sowohl durch das schmale Begleitheft als auch durch die fehlenden Extras fällt auf, dass sich das Label ansonsten keine weitere Mühe mit der DVD machen wollte. Sehr schade.

Christoph Broermann

Fotos: Jochen Klenk