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 DVD-Besprechung

Così fan tutte

1.12.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Improtheater mit Zerreißprobe

Die zahlreichen Eingriffe, die im Laufe der Geschichte an Così fan tutte vorgenommen worden sind, um die Handlung zu entschärfen, weisen schon darauf hin, dass Mozarts dramma giocoso keine ganz einfache Oper ist. Viele Regisseure gehen den einfachen Weg und kehren in der Verkleidungsgeschichte die komische Seite der Oper hervor. Filmregisseur Michael Haneke beweist in seiner zweiten Opernregie großes Rückgrat und inszeniert die Così am Teatro Real de Madrid ganz unbequem. Dank des Labels C Major kann man nun auch am heimischen Bildschirm verfolgen, wie akribisch Haneke und das Ensemble sich fast neun Wochen lang in großer Detailarbeit mit dem oft missverstandenen Werk auseinander gesetzt haben.

Schon in der Ouvertüre baut Haneke Handlung und Personen auf, um den direkt einsetzenden Disput zwischen Ferrando und Guglielmo auf der einen Seite und dem Philosophen Don Alfonso auf der anderen Seite in einen Rahmen zu bringen. Man ist zu Gast in Alfonsos herrlicher Villa, die Christoph Kanter entworfen hat. Ein breiter Wohnraum mit einer Terrasse dahinter bietet ein fast romantisches Ambiente. Doch das kalte Dekor spricht seine ganz eigene Sprache, zeigt schon etwas vom Seelenleben des Hausherrn und schlägt einen großen Bogen von der Zeit Mozarts bis zur Moderne. Auch in den sehr schönen Kostümen von Moidele Bickel prallen die Epochen aufeinander. Unter den Gästen trifft Smoking auf Barockkleider, Alfonso tritt als Edelmann mit Degen an der Seite wie ein gealterter Don Giovanni auf. Die zwei jungen Paare, die ihm bei seiner Party in die Falle gehen, sind Menschen von heute. Despina scheint zeitlos dazwischen zu schweben. Dass sie in dieser Inszenierung Alfonsos deutlich jüngere Ehefrau ist, die mit dem verbitterten Philosophen eine Art Hassliebe verbindet, gibt dem Werk noch zusätzliche Schärfe.

Man muss aber nicht befürchten, dass Haneke die Oper gegen den Strich bürstet. Im Gegenteil: Selten hat man die Details, die von Mozart und DaPonte eingebaut wurden, so scharf beleuchtet und in so einer Ruhe gesehen. Così fan tutte ist nicht die frauenfeindliche Fabel von der Untreue. Vielmehr ist die Treueprobe der Männer ein Kommentar zu falsch verstandener Aufklärung, ausgedrückt in einem ganz offen ablaufenden Improvisationstheater, aus dem jeder zu stolz ist auszubrechen. Zu lachen gibt es hier wenig, selbst der Witz der Verkleidungsszenen wird von Haneke als hilfloser Aufheiterungsversuch entlarvt. So nimmt das ernüchternde Drama seinen Lauf und verselbständigt sich am Ende in einer Zerreißprobe, die wohl nicht bestanden wird. Die anderen Gäste, darunter auch ein Haneke-Double, beobachten dieses Finale sehr neugierig, wenden sich aber bestürzt ab, als das Ehepaar Alfonso – Despina handgreiflich wird.

Die Genialität dieser Inszenierung liegt in der mustergültigen Personenführung. Das sehr junge Ensemble setzt Hanekes Ideen sehr genau und in vielen Details um. Hannes Rossbacher hat sich die Mühe gemacht, vor allem die Kleinigkeiten für die DVD einzufangen, und legt dabei auch Fantasie an den Tag. Da sieht man den Auftritt Ferrandos, der langsam zu Fiordiligi geht, in der Spieglung des Kühlschranks, an dem diese steht. Man sieht auch das genervte Augenrollen der Damen angesichts der Machosprüche der Herren, oder die Haarsträhne, die aus dem Gesicht gepustet wird. Sehr gut abgemischt ist der Ton der DVD, der auch Platz für räumliche Trennungen hat.

Die sechs Sänger spielen und singen die Rollen so realistisch, dass man den Blick kaum abwenden kann und mit ihnen mitleidet. Sicher hat man das Sextett anderswo technisch noch ausgereifter gehört, doch weder in Punkte Homogenität noch in den Soloarien muss man um den schönen Klang Mozarts bangen. Das ist beeindruckend, weil sich so Musik und Szene zu einer Einheit verbinden. Hervorragend ist hier niemand, denn das Ensemble agiert geschlossen auf Augenhöhe: Anett Fritsch ist eine ergreifende Fiordiligi. Perfekt ist das Zusammenspiel mit dem klangvollen Mezzosopran von Paola Gardina. Kerstin Avemo ist als Despina keine trällernde Nachtigall, sondern eine gezeichnete Frau. Juan Francisco Gatell und Andreas Wolf machen aus Ferrando und Guglielmo glaubhafte Charakterstudien. William Schimell ist ein gnadenloser Strippenzieher, der seinem eigenen Zynismus gehorchen muss. Sylvain Cambreling hätte durchaus noch ein paar mehr Akzente mit dem Orchestra des Teatro Real de Madrid setzen dürfen. Doch auch seine sehr ruhige, völlig unaufgesetzt klingende Sicht lässt sich mit Hanekes realistischem Theater gut vereinbaren.

Diese Così auf DVD ist nicht empfehlenswert für ein erstes Date. Sie ist nicht empfehlenswert für einen kuscheligen Fernsehabend oder als Untermalung. Diese Così ist spannendes, authentisches Musiktheater und unbedingt empfehlenswert. Dass Haneke zeitgleich zur Premiere der Così den Oscar für seinen Film Amour bekommt, ist bestimmt kein Zufall.

Christoph Broermann

Fotos: Javier de Real