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 DVD-Besprechung

Le Comte Ory

8.4.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Rotzfrecher Graf in Frankreich

Auf dem DVD-Markt herrscht Hochkonjunktur für den pubertären Grafensohn Le Comte Ory. Nach New York und dem Rossini-Festival in Pesaro wird nun auch die Neuproduktion der Oper Zürich aus dem Jahr 2011 auf DVD veröffentlicht. Mit letzterer Aufführung bringt das Label Decca sicher eine interessante Alternative auf dem Markt – einerseits wegen des Rollendebüts von Cecilia Bartoli, anderseits wegen der sehr lustigen Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier. Denn anders als in den anderen, oben erwähnten Inszenierungen macht das eingespielte Team nicht nur einfach Theater auf dem Theater, sondern erzählt wirklich eine Geschichte. Und die spielt nicht wie vom Libretto vorgesehen zur Zeit der Kreuzzüge, sondern im Frankreich des zweiten Weltkrieges. Amerikaner, Briten und Franzosen sind gegen das nationalsozialistische Deutschland gezogen und in einem kleinen französischen Dorf treibt sich ein amerikanischer Jungspund mit seinen GI-Freunden herum, um die verlassenen Frauen zu erobern.

Der erste Akt spielt auf der Bühne von Christian Fenouillat an einer Art Barrikade, wo Ory als dicker Eremit verkleidet in einem Wohnwagen haust und vor allem gerne den jungen Damen seinen Segen erteilt. Eine ganze Schar Frauen, eingekleidet von Agostino Cavalca in die schön-hässlichste Mode dieser Zeit, überbringt dem Eremiten über seinen Freund Raimbaud Essen und Wein, die schnell durch ein Fenster im Wohnwagen verschwinden. Nachdem der Eremit das weibliche Gefolge im Inneren empfangen hat, was man durch die Vorhänge an den Fenstern für kurze Sekunden erkennen kann, werden die vergessenen Kleidungsstücke wieder durch das Fenster nach draußen gereicht. Die große Begierde des Grafen, die Gräfin Adèle, landet schließlich auch auf dem Leopardenfell-Sofa im Wohnwagen. Doch nachdem der Eremit sie von ihrem Keuschheitsgelübde entbunden hat, muss er frustriert mit ansehen, wie sie sich in die Arme seines Pagen Isolier flüchtet.

Auch der zweite Akt verfehlt aufgrund der detaillierten Personenführung seine komische Wirkung nicht. Durch die Fenster im Wohnzimmer der Gräfin sieht man das Gewitter, das Christophe Forey und Martin Gebhardt entfachen. Die Damen des Hauses flüchten sich derweil unter den Schutz des Kreuzes und des Bildes von Charles de Gaulle. Ory und seine Freunde schleichen sich als Nonnen in das Haus ein, stellen am Esstisch Da Vincis Bild vom „Letzten Abendmahl“ nach, hauen in die Tasten des Cembalos und plündern beschwingt den Weinkeller. Wenn die echten Damen des Hauses kommen, vergehen die „Nonnen“ in intensivsten Gebeten. Unwissend, dass sein Page auch im Haus ist, landet Ory statt bei Adèle fast mit Isolier im Bett, ehe er wegen der zurückkehrenden Franzosen durch den Luftschutzkeller verduften muss.

Diese freche Inszenierung schaut man sich auch daher gerne an, weil das Ensemble lustvoll mitspielt. Allen voran der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor sowie Mitglieder des Opernstudios Zürich, die sich, egal ob als Dorfbewohner oder Nonnen, mit großer Komik und frischen Stimmen empfehlen. Trotz bekannter Namen unter den Solisten ist es allein Javier Camarena, der Rossinis Feuerwerk zu hundert Prozent abbrennen kann. Darstellerisch ist sein Ory rotzfrech und ungeduldig, gesanglich elegant und versiert. Wenn auch nicht auf diesem Niveau, ist auch der Rest keinesfalls eine Enttäuschung: Cecilia Bartoli ist als hoher Mezzosopran nun keine genuine Gräfin Adèle, die normalerweise von einem Sopran gesungen wird, was der Rolle mal einen ganz anderen Klang gibt. Ihre Koloraturfähigkeiten und ihr Spielwitz sind ebenfalls beachtlich. Die durch diese Besetzung entstehende Lücke im vokalen Gesamtbild muss Rebeca Olvera schließen, die beweist, dass auch ein Sopran die Hosenrolle des Isolier adäquat verkörpern kann. Mit trockener Stimme, aber mit baritonalem Schalk ist Oliver Widmer ein ordentlicher Raimbaud. Ugo Guagliardo ist trotz agiler Stimme ein relativ blasser Erzieher.

Dirigent Muhai Tang überrascht mit einer innovativen Tempowahl, die nicht vorrangig darauf abzielt, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Oper zu preschen. Zuweilen hätte man sich zwar einen Hauch mehr Wahnsinn gewünscht, aber der Farbenreichtum und die Delikatesse, mit denen das Orchester La Scintilla der Oper Zürich dieses Werk interpretiert, lässt aufhorchen. Da wird organisch mit den Sängern geatmet und mit Hingabe begleitet. Ton und Kameraarbeit sind sehr ordentlich und gut gesteuert. Das hat Oliver Simonnet gut umgesetzt. Wie so oft hätte man sich aber ein paar Extras gewünscht, zum Beispiel einen Einblick in die Proben. Es wäre schön zu sehen gewesen, ob die Sänger bei der Erarbeitung so viel Spaß gehabt haben, wie es diese Aufführung die Zuschauer glauben lässt. Vom Publikum hört man oft Gelächter und am Ende zufriedenen bis euphorischen Applaus.

Christoph Broermann

Fotos: Jef Rabillion