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DVD-Besprechung

The Colón Ring

15.6.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Diskutabler Beitrag zum Wagner-Jahr

Unter den vielen Ring-DVDs und -CDs, die in Wagners Jubiläumsjahr herausgebracht werden, ist der bei C Major erscheinende Colón-Ring wohl der Beitrag, der das meiste Diskussionspotenzial birgt. 2012 bringt das Theatre Colón seine ganz eigene, um die Hälfte des Gesamtwerkes gekürzte Fassung der Tetralogie heraus, die bereits vor der Aufführung theatralisches Format hat. Eigentlich ist Katharina Wagner für die Inszenierung verantwortlich, doch die wirft nur wenige Wochen vor der Premiere wegen probentechnischer Probleme das Handtuch und reist wieder ab. Auch der ursprünglich vorgesehene Dirigent muss durch Roberto Paternostro ersetzt werden, während Valentina Carrasco nun im Bühnenbild von Frank P. Schlössmann und Carles Berga die Regie übernimmt. Diese Momente und auch die weitere Entstehungsgeschichte dieses Projektes kann man auf einer Extra-DVD in der ausführlichen und gut gefilmten Dokumentation The Colón Ring – Wagner in Buenos Aires nachverfolgen.

Ziel dieses Projektes ist es, Wagners Ring an einem Tag aufzuführen. Dafür muss das Werk von Cord Garben erheblich gekürzt werden. Was als gekürzter Ring angepriesen wird, entwickelt sich mit sieben Stunden Spieldauer zur längsten Wagner-Oper überhaupt, die wohl kaum das Sitzfleisch derer schont, die behaupten, Wagner sei zu lang. „Man kann hier ohne weiteres zehn Seiten rauskürzen. Man kann das rausnehmen, ohne dass man etwas spürt. Weder vom Gesangstext noch von der Musik.“ Diese Aussage von Cord Garben können nur Wagner-Unkundige glauben. Für Wagner-Fans hingegen kann dieser wüst zusammengestrichene Haufen Musik allenfalls ein Experiment sein. Hat man gerade das Gefühl, in Wagners Musikfluss eingetaucht zu sein, wird man schon durch den nächsten, zumeist wenig eleganten Strich aus diesem wieder herausgerissen. Der erste Akt der Walküre ist beispielsweise auf eine halbe Stunde gekürzt. Die Götterdämmerung passt ohne Nornenszene und Rheintöchter ganz mühelos auf eine DVD. Personen wie Donner und Froh im Rheingold werden komplett entfernt. Auch die dramaturgisch so wichtigen Erda-Szenen aus Vorabend und Siegfried werden unverständlicherweise gestrichen, sind doch von der ersten Begegnung alle nachfolgenden Pläne Wotans abhängig. Die einzig-mögliche Rechtfertigung für dieses Stückwerk liefert Richard Wagner selber mit den Worten von Hans Sachs: „Der Regel Güte daraus man erwägt, dass sie auch mal 'ne Ausnahm' verträgt.“

Eine Ausnahme hat dieses ehrgeizige Projekt auch durchaus verdient, wenn man es von der Regie aus betrachtet. Es ist bewundernswert, dass Valentina Carrasco innerhalb der kurzen Zeit ein eigenes Konzept auf die Beine gestellt hat, in das sie Elemente der Geschichte des Landes einfließen lässt. Den Raub des Rheingolds inszeniert sie als Anspielung auf den Kinderraub während der Militärdiktatur in Argentinien. Auch in Folge vermeidet sie so weit wie möglich alle mythischen Umschreibungen, sondern erzählt ein Drama zwischen Unter- und Oberschicht. Ihre Erfahrungen bei der Ring-Inszenierung in Valencia mit La Fura dels Baus spiegeln sich deutlich wieder im ersten Akt der Walküre. In beiden Deutungen ist Sieglinde eine angekettete Sklavin bei Hunding, die von Siegmund zu Winterstürme wichen dem Wonnemond befreit wird. Da die gesamte Handlung gestrafft ist, kann Carrasco recht flüssig erzählen. Auch das Bühnenbild von Frank P. Schlössmann und Carles Berga unterstützt diese Erzählweise und bringt über die Drehbühne immer wieder bekannte Bühnenelemente in das Geschehen ein. Am Ende schließt Carassco den Kreis zum Kindsraub im Rheingold. Nach Brünnhildes schlichtem Feuertod, drängen die Erwachsenen nach vorne. Der einzige Rufer nach der alten Macht, Hagen, geht nicht im Rhein, sondern in der still mahnenden Masse unter, die dann glücklich wieder ihre befreiten Kinder in die Arme schließen kann. Ein schönes, bewegendes Bild. Das Publikum sieht in der Inszenierung deutliches Diskussionspotenzial, wie man den lauten Buhrufen für das Regiekonzept entnehmen kann.

Weitgehende, aber auch nicht einhellige Zustimmung erhält die musikalische Seite, die schon für den überragenden Einsatz der Künstler über sieben Stunden Applaus verdient. Denn trotz starker Kürzungen sind die Partien von Wotan, Brünnhilde und Siegfried immer noch mörderisch. Jukka Rasilainen singt einen souveränen, leider auch etwas ausdrucksarmen Wotan, Linda Watsons Brünnhilde vereint dramatische Stärken und zuweilen schrille Schwächen. Leonid Zakhozhaev kämpft als Siegfried mehr mit der deutschen Sprache als mit der Bewältigung der Partie. Problematisch ist die Besetzung der zentralen Bass-Partien von Hagen, Hunding und Fafner, dessen spröde Stimme kein akustisches Vergnügen ist. Hier wäre eine Aufteilung mit dem anderen Bass Gary Jankowski förderlich gewesen. Bayreuth erprobt ist der deklamatorisch auftrumpfende Andrew Shore als Alberich. Kurzum: Die vokale Seite ist ordentlich, darf aber nie als Maßstab für andere Veröffentlichungen des Rings gelten. Bewundernswert wirft sich das Teatro Colón Orchestra in die lange Partitur und macht durch nie nachlassende Intensität die fehlende Brillanz in den Instrumenten wett. Roberto Paternostro leitet den musikalischen Apperat nicht nur dramaturgisch ansprechend und sängerfreundlich, sondern muss auch gegen die gewohnten Hör- und Spielgewohnheiten arbeiten. Eine sehr gute Leistung, die allerdings die gekürzte Fassung kaum besser macht.

Mit ordentlicher Kameraarbeit und akustisch gut eingefangen ist diese DVD Zeuge eines ehrgeizigen Projektes, das sicher auch wegen der nicht unproblematischen Probenzeit mehr durch das Gesamtergebnis als durch musikalische Schönheit besticht. Doch unbestritten ist der Colón-Ring eine wichtige Diskussionsgrundlage innerhalb der Ring-Interpretationen. Das ist im Wagner-Jahr schon viel wert.

Christoph Broermann

Fotos: Naxos