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 DVD-Besprechung

Ciro in Babilonia

8.8.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Der Stummfilm lebt

20 Jahre war Gioachino Rossini jung, als seine Oper Ciro in Babilonia am 14. März 1812 im italienischen Ferrara uraufgeführt wurde. Da sollte es allerdings noch rund 66 Jahre dauern, bis Eadweard Muybrigde seine ersten Serienbilder The Horse in Motion als Beginn der Stummfilmära vorstellte. In zeitlicher Hinsicht noch viel weiter entfernt ist Rossini allerdings vom biblischen Sujet seiner Oper. Heerführer Ciro belagert Babylonien, um das Königreich vom Joch des Tyrannen Baldassare zu befreien. Der nimmt die Frau Ciros, Amira, nebst Sohn Cambise und Vertrauter Argene gefangen und verlangt von Amira, ihn zu heiraten. Bei dem Versuch, Frau und Kind zu befreien, gerät Ciro selbst in Gefangenschaft. Nach allerlei Hin und Her gelingt es den Truppen Ciros, Baldassare im letzten Moment vor der geplanten Exekution des Heerführers zu besiegen.

Im vergangenen Jahr wurde die Oper für das amerikanische Musikfestival Bel Canto at Caramoor in der Nähe von New York produziert und war so erfolgreich, dass sie ihren Weg zum Rossini-Festival in Pesaro fand. Dort wird die Aufführung in wunderbarer Qualität aufgezeichnet und findet jetzt als DVD von Opus Arte ihren Weg in die Verkaufsregale. Regisseur Davide Livermoore hat eine Inszenierungsidee gefunden, die vermutlich erst auf DVD am besten wirkt. Er inszeniert die Oper als Stummfilm. Was den Italienern heilige Pflicht ist – möglichst wenig Bewegung auf der Bühne zugunsten schönen Gesangs und innigen Ausdrucks – entspricht deutschen Sehgewohnheiten weniger und wird durch ausgewogene Kamerafahrten und -einstellungen in scheinbare Bewegung auf dem Bildschirm aufgelöst. Dabei ist es moderne Videotechnik, die erst die nahezu perfekte Illusion des Stummfilms ermöglicht. Auf dem Gaze-Vorhang tauchen die für antiquierte Bildrollen typischen Kratzer auf, im Hintergrund gibt es vor grob geschnitzten Bühnenaufbauten die markanten Schrifttafeln mit den schriftumrahmenden Ornamenten. Kongenial hat Gianluca Falaschi die Solisten in schwarzweiße Fantasie-Kostüme und den Chor in die Kleidung der 1920-er Jahre gesteckt, also jener Zeit, in der der Stummfilm seine größten Stars erlebte und doch schon im Niedergang begriffen war. Das Lichtdesign von Nicolas Bovery unterstreicht die Anmutung perfekt.

Für Bewegung auf der Bühne sorgen Chor, Statisten und Tänzerinnen. So können sich Sängerinnen und Sänger ganz dem Gesang und dem Ausdruck hingeben. Der Zuschauer erlebt also die große, dramatische Geste, immer schön in Szene gesetzt von Daniele Biggiero. Ciro ist von Rossini als Frauenrolle angelegt und wird hier von der Koloratur-Altistin Ewa Podleś interpretiert, die zu Recht für ihre Rossini-Interpretationen gefeiert wird. Ihr zur Seite steht, kniet und liegt Tenor Michael Spyres, der mit seinem Baldassare das Publikum begeistert und zu lauten Bravo-Rufen hinreißt. Als Amira glänzt Jessica Pratt mit warmem Sopran, der die Melancholie der Rolle ebenso auslebt wie die Schärfe der Zurückweisung. Auch Carmen Romeu als Argene und Mirco Palazzi als Zambri gefallen in ihrem Gesang. Nahtlos fügt sich der Chor des Theaters von Bologna in der Einstudierung von Lorenzo Fratini in das Geschehen ein.

Will Crutchfield, Dirigent und künstlerischer Leiter des Festivals Bel Canto at Caramoor, ist Überzeugungstäter. Gefühlvoll und wunderbar ausbalanciert führt er das Orchester des Bologneser Theaters durch Leiden und Leidenschaft, Melancholie und Euphorie. Das Publikum applaudiert enthusiastisch – und selbst der Auftritt des Regie-Teams kann kein einziges vergogna (italienisch: Schande) hervorlocken, das doch eigentlich zum guten Ton einer ordentlichen Aufführung gehört.

Eine rundherum gelungene Inszenierung, Aufführung und Aufzeichnung also, die erst am heimischen Großbildschirm den Genuss vollendet. Und damit erneut eine Frage aufwirft, die den Forderungen beispielsweise Michael Hampes Nachdruck verleiht: Müssen Opern künftig so inszeniert werden, dass sie als mediale Aufzeichnung veränderten Rezeptionsbedingungen und immer stärkerem Kostendruck gerecht werden, gar eine Demokratisierung der Oper vorantreiben? Noch wehren sich die Anhänger des Live-Events vehement. Diese Aufzeichnung des Ciro in Babilonia zeigt, dass es geht. Und sei es letztlich auch als wertvolle Bereicherung des bestehenden Angebots.

Michael S. Zerban