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 DVD-Besprechung

Chaplin

3.5.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Tanzender Tramp

Angehende Journalisten lernen schon im Grundstudium, dass es kaum Langweiligeres gibt, als seinen Leserinnen und Lesern eine Biographie in chronologischer Reihenfolge zu präsentieren. Das Handlungsballett ist tot. Zwei Grundsätze, die jedermann kennt. Nur Mario Schröder scheint davon noch nicht gehört zu haben. Also schafft er zum Einstand als Ballettchef an der Oper Leipzig 2010 erst mal ein Handlungsballett, um die Biographie seines Jugendidols Charlie Chaplin in chronologischer Abfolge darzustellen. Das Publikum ist begeistert und dankt mit 15-minütigen stehenden Ovationen.

Das Publikum hat Recht. Schröder und seinem Team gelingt es, den Zuschauer anderthalb Stunden zu fesseln, indem er die Welt, Leben und Werk des Vagabunden Charlie Chaplin auferstehen lässt. Paul Zoller sorgt mit seinen Kostümen, Videoprojektionen und einer abwechslungsreichen, überraschungsstarken Bühne für den nötigen Spiel- und Hintergrund. Hier lässt Choreograf Schröder seine Compagnie raumgreifend und in immer wieder neuen Kombinationen nicht nur als schmückendes Beiwerk, sondern häufiger handlungserklärend auftreten. Schröders Choreografie schafft eine aufregende Balance zwischen klassischen Ballett-Einlagen und zeitgenössischen Tanz-Elementen. Um zur Psychologie Chaplins zu finden, lässt Schröder ihn gleich zwei Mal auftreten. Als der Tramp, den wir mit seinen komischen Bewegungen und seiner ulkigen Erscheinungsform kennen, bewegt sich Amelia Waller überzeugend nicht nur in den übergroßen Schuhen, sondern auch sicher in Mimik und Gestik. So gelingt ihr schließlich auch krönend der berühmte Abgang des Tramps, der seine Filme gern beendete, indem er mit dem Rücken zum Publikum aus dem Bild ging. Tyler Galster hingegen spielt den Charles Chaplin, der sich selbst wohl gern so gesehen hätte: Groß, schlank, athletisch hat er sich um die Liebschaften Chaplins zu kümmern, von denen hier drei stellvertretend auftreten. Und selbstverständlich darf auch einer der größten Filmerfolge nicht unzitiert bleiben: Oliver Preiß tanzt einen absurden Diktator. Die Verknüpfung mit Wagnerscher Musik an dieser Stelle wirkt abgeschmackt und ist sicher der einzige Schwachpunkt des Abends. Selbst der wird aber musikalisch vom Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny mit einer großen Leistung abgefedert. Ob Henze, Adams, Brahms, Britten oder einer der vielen anderen Komponisten, die ihren Anteil zum Leben und filmischen Schaffen Chaplins beigetragen haben, werden von den Musikern im positiven Sinn aus einem Guss aufgeführt.

EuroArts hat die Aufführung aufzeichnen lassen, um sie als DVD auf den Markt zu bringen. Sonia Paramo hat sich bei ihrem Film Chaplin allerdings nicht auf das übliche Mindestmaß beschränkt, sondern für eine vernünftigen Vor- und Abspann gesorgt und die eigentliche Aufführung mit Statements von Mario Schröder und Amelia Waller eingerahmt. Bei der Kameraführung während der Aufführung gibt es ein paar Patzer, die aber nicht weiter ins Gewicht fallen. Stattdessen darf der Zuschauer sich mit dem Publikum über die rundum gelungene Leistung des Abends freuen.

Umso ärgerlicher, dass ein solches Werk in der milchig-billigen Standard-Plastikhülle mit einem mageren Begleitheft veröffentlicht wird. Dieser Chaplin hätte es verdient, etwas mehr Fantasie walten zu lassen, um auch die äußere Erscheinung der CD entsprechend hochwertig leuchten zu lassen. Aber schließlich verkaufen sich Reclam-Heftchen ja auch ganz gut, wenn sich erst mal der Wert ihres Inhalts herumgesprochen hat.

Michael S. Zerban

Fotos: Ida Zenna