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 DVD-Besprechung

Artaserse

1.4.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Der Wow-Effekt

Das was der konzertanten Version fehlt, bekommt man nun auf DVD geliefert: Warner Classics hat die szenische Umsetzung des Projekts Artaserse an der Opéra national de Lorraine in Nancy herausgebracht, mit dem Concerto Köln und die sechs Sänger – konzertant – um die Welt touren. Opernnetz war erst vor kurzem auch live in Köln dabei. Nun kann man diese Oper in Ruhe zuhause auf dem Sofa wieder und wieder genießen. Der Live-Mitschnitt bringt genau das mit, was der konzertanten Version gefehlt hat – und das in vielfacher Hinsicht: Die Kostüme lösen das Verwirrspiel des gender-who-is-who auf, und mit dem szenischen Spiel ist auch die typisch verwickelte Geschichte mit dem Bonus der viersprachigen Untertitel einfach aufzudröseln. Apropos Kostüme: Die Entwürfe von Helmut Stürmer, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, sind einfach traumhaft. Sie machen das Ganze erst schmackhaft und rund. Sie erlauben den einzelnen Charakteren, sich komplett auszuleben und zu probieren, und kennzeichnen die grundverschiedenen Männer als Individuen. Stürmer spielt nicht nur mit barocken Stereotypen, sondern schafft mit Stoffen und verschiedensten Materialien eine wahre Orgie aus Barock, Punk und 1980-er-Glam. Jeder Darsteller bekommt mehrere Kostüme, die sich in Fantasie und Qualität in nichts nachstehen. Passend dazu das extravagante Make-up, das den Bogen von Boy George über Pantomime bis zum Clownesken spannt. Die Bühne erschließt sich einem nicht genauso schnell – zunächst verwirrt das Zitat der wohl berühmtesten Skizze Leonardo da Vincis, der vitruvianische Mensch, der ähnlich wie das Original da Vincis den Mittelteil eines architektonischen Bauteils schmückt. Soll das etwa ein Verweis auf den Namen des Komponisten sein? Historisch gesehen ist das Zitat jedenfalls eher unpassend. Bewegung auf die Bühne bringt eine kleine eckige Drehscheibe, die sich passend zur Musik mal schneller, mal langsamer dreht, und auf der sich die Sängerdarsteller während ihrer Arien positionieren können. Schwarz gekleidete Bühnenarbeiter mit ebenfalls weiß angemalten Gesichtern bewegen Schiebeteile, auf denen scharzweiße architektonische Teile zu sehen sind, die wohl an alte Bühnenbilder angelehnt sind. Die Statisten sind Teil der Inszenierung, beispielsweise zwingen sie Arbace, sich wie eine barocke Puppe zu verhalten, wogegen er nicht zu wehren vermag. Die Regie von Silviu Purcărete ist einfach, aber wirkungsvoll. Sie beginnt und ist durchdrungen von Momenten, die die Entstehung der Oper selber zum Thema haben. Die Künstler kommen – zwar bereits geschminkt – aber sonst wie beiläufig auf die Bühne, nicken abwesend mit dem Kopf im Takt oder begrüßen sich. An den Seiten der Bühne stehen Schminktische, an denen sie dann im Verlauf der Ouvertüre fertig geschminkt und angezogen werden, erst jetzt werden die Opernsänger zu den fabulösen Kunstcharakteren, die sie auf der Bühne darstellen. Die Künstlichkeit der Oper wird auch in der Personenregie deutlich, die wie Kostüm und Bühne mit Klischees der barocken Oper spielt. Anfangs wie Ende steht das Individuelle im Vordergrund, zwischenzeitlich sind die Charaktere im einheitlichen Barock-Look in weiß gefangen, von dem sie sich befreien müssen. So entsteht eine schlüssige Geschichte, die die Längen der Oper auffängt. Nicht zu vergessen das Spiel mit den Geschlechtern, das hier so präsent ist wie selten. Aus einer veralteten Tradition wird moderne Oper, es erscheint nach einer Weile völlig legitim und natürlich, dass sich ausschließlich Männer auf der Bühne befinden. Und gerade das scheint auch einen gewissen Reiz auszumachen – verblüffend, wie natürlich und selbstverständlich Metrosexualität aussehen kann.

Natürlich lebt dieser Mitschnitt auch von der Musik – großartig wie immer Concerto Köln unter Diego Fasolis, von dem man leider nicht allzu viel sieht. Ein klarer Vorteil einer konzertanten Aufführung. Doch dafür kann man sein engagiertes Dirigat und die Leidenschaft der Musiker hören. Es ist erstaunlich, wie farbenreich und unterschiedlich verschiedene Vertreter eines Stimmfaches sein können, wenn man sie nebeneinander zu hören bekommt – umso besser, wenn es sich um einige der berühmtesten Vertreter des Fachs handelt. Philippe Jaroussky in der Titelpartie singt wie ein Engel, und so wird er auch von den Landsmännern und -frauen im Publikum gefeiert. Einen vokal wie darstellerisch starken Megabise gibt Yuriy Mynenko, dessen Virilität trotz Stimmlage auffällig ist. Franco Fagioli ist eine Klasse für sich: Entweder man mag oder hasst seine Gesichtsakrobatik beim Singen. Doch was dabei herauskommt, ist einfach großartig. Und seine übertriebene Mimik passt einfach zu seinem exaltierten Charakter und seiner herausragenden stimmlichen Interpretation des Arbace. Valer Sabadus, der jüngste Fachvertreter, überrascht als schöne Semira. Mit seiner schmalen Figur und glatten Haut mimt er die Schwester Arbaces so überzeugend, dass man vollends verwirrt ist. Dazu kommt seine besonders schön geführte Stimme, die an Farbe im Laufe des Abends nichts verliert. Etwas metallischer kommt Max Emanuel Cencic als Mandane daher, dem man die Frau auch eher nicht abnimmt – zu abgedroschen sind die Bewegungen, was aber auch wieder etwas Besonderes hat – schließlich bewegen sich auch die Männerpartien im metrosexuellen Bereich. Transgender bekommt auf der Opernbühne hier eine ganz neue Dimension. Tenor Juan Sancho meistert die Partie des machthungrigen Artabano mit Leichtigkeit und erinnert mit seinem Makeup und der daraus resultierenden Mimik nicht selten an Gründgens in seiner Paraderolle des Mephisto.

Die Kameraführung ist wie der Ton äußerst sauber. Close-ups nehmen zwar etwas der für den Opernbesucher gedachten Illusion der Schminke, doch dafür kann man die darstellerischen Fähigkeiten der Sänger besser sehen. Außergewöhnliche Perspektiven zeigen auch mal den Blick des Sängers in den gut gefüllten Zuschauersaal oder Einstellungen, die gleichzeitig Bühne und backstage im Fokus haben, ein interessanter und bereichernder Blickwinkel. Für Fans von barocker Musik und Countertenören und alle, die es noch werden wollen, ist diese DVD ein gefundenes Fressen. Das Publikum vor Ort wird jedenfalls auf diesem Mitschnitt für immer festgehalten und somit immer wieder für die Stars im goldenen Glitzerregen jubeln.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Warner Classics