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DVD-Besprechung

Dietrich Fischer-Dieskau

27.9.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Sänger – Lehrer – Privatperson

Eine DVD-Box, die von zwei Persönlichkeiten geprägt wird. Auf der einen Seite Bruno Monsaingeon, der berühmte Regisseur von nicht weniger beeindruckenden Dokumentationen über Musiker. Auf der anderen Seite der im letzten Jahr verstorbene Sänger Dietrich Fischer Dieskau, der besonders den Liedgesang revolutioniert hat. Monsaingeon hat den Bariton über mehrere Jahre begleitet und EuroArts veröffentlicht nun das umfangreiche Material in einer hervorragenden Box.

Ein Hauch von Schallplatten-Nostalgie entweicht dem weißen Karton, der mit einem großem Fischer-Dieskau-Titelbild umgeben ist. Leider geht dieses beim Abziehen viel zu schnell kaputt. Doch das ist schon der einzige optische Schwachpunkt, denn ansonsten sind die sechs DVDs auf dem Grund des Kartons sehr liebevoll untergebracht. Zugedeckt sind sie mit einem kleinen, aber feinen Booklet und einem Begleitbuch, das endlich auch mal diesen Namen verdient. Dreisprachig, ausführlich und angereichert mit vielen Fotos mit Fischer-Dieskau ist es der perfekte Schmöker und die geschriebene Fortsetzung zu den DVDs. Auf denen beleuchtet Monsaingeon Fischer-Dieskau in seiner dreidimensionalen Gestalt.

Da ist zum einen der Sänger Fischer-Dieskau, von dem vor allem die Seite des Liedsängers gezeigt wird. Wer noch nicht weiß, wie viel Ausdruck, wie viel Lebendigkeit ein Liedsänger mitbringen muss, der kann von Fischer-Dieskau noch viel lernen. Der Hörer versinkt beispielsweise in Schumanns Dichterliebe, die Monsaingeon so sauber in Nürnberg aufgenommen hat. Wie sehr er sich mit Fischer-Dieskau beschäftigt hat, sieht man an den Einstellungen. Seine Perspektive passt sich an den Moment des Singens an und wechselt von Mundhaltung über die Mimik zur gesamten Körpersprache des Baritons. Auch beim Liederkreis oder Schuberts schöner Müllerin lässt sich ähnliches beobachten. Und Fischer-Dieskau verbindet Worte und Töne in so unnachahmlicher Weise, dass man nur ins Schwelgen kommen kann. Der einzige Wermutstropfen ist, dass nicht auch die Winterreise auf diesen Dokumenten verewigt ist.

Wie akribisch Fischer-Dieskau nicht nur an seiner Stimme gearbeitet hat, wird an seiner Funktion als Lehrer deutlich. Monsaingeon hat das Feuer, die Aufmerksamkeit Dieskaus während seiner Meisterklassen eingefangen. Unter seinen Schülern begegnet man auch heute noch bekannten Künstlern wie Dietrich Henschel und Christian Elsner. Und Monsaingeon schneidet in die Einheiten auch Ausschnitte aus Dieskaus eigenen Liederabenden, um das eben Vorgemachte auch im Konzert sichtbar zu machen. Für Opernfreunde ist das große Highlight, wie er mit Bariton Matthias Rettner an der Arie Hai gia vinta la causa aus Mozarts Figaro arbeitet. „Du wartest ab, bis die nächste Phrase kommt. Das darfst du nicht!“. Dieskau unterrichtet mit herzlicher Strenge, nimmt Konsonanten und Vokale, Schultern und Kinn unter die Lupe. Gleichzeitig findet er in Bruchteilen von Sekunden in die Rolle des Conte Almaviva zurück, so dass man sich direkt an den Opernfilm von Jean-Pierre Ponelle erinnert fühlt. Während man diesem Unterricht lauscht, fällt auf, dass Rettner eine ganz ähnliche Stimmfarbe besitzt wie sein Lehrer, er sich aber in der Nähe der Kamera nicht so wohl fühlt. Fischer-Dieskau dagegen ignoriert die Kamera mit den Augen nahezu vollständig und bietet ihr doch eine Menge Energie.

Dieses Selbstbewusstsein kann man auch bei Fischer-Dieskau als Privatperson wahrnehmen, doch zeigt er sich dabei auch von einer anderen, fast in sich gekehrten Seite. Zwei DVDs sind dem Leben des Künstlers gewidmet. Da ist zum einen das Portrait Die Stimme der Seele, wo verschiedene Themen mit großem Nebenmaterial bereichert sind. Aber das eigentliche Highlight ist das Konversationsstück Letzte Worte, in dem sich eine Art Dialog zwischen Fischer-Dieskau und Monsaingeon ergibt, untermalt mit schönster Musik. Der Zuschauer ist dabei zu Gast in Dieskaus Arbeitszimmer. Nachzulesen ist diese Konversation im großen Begleitbuch. Auf der DVD erlebt man den gealterten Bariton zu Beginn, wie er einer eigenen Aufnahme von Schumanns Stirb, Lieb und Freud zuhört, wobei er eine berührende Ruhe ausstrahlt.

Überhaupt ist das Gesamtwerk mit Rückblick auf Dieskaus Tod im letzten Jahr eine emotionale, künstlerisch hochwertige Erinnerung. Mit dieser ersten Ausgabe beginnen Idéale Audience und EuroArts eine mehrteilige Edition der Meisterwerke Bruno Monsaingeons. Man darf gespannt sein, wie Monsaingeon noch weitere Künstler wie Yehudi Menuhin, Sviatoslav Richter, David Oïstrakh, Guennadi Rozhdestvensky und Julia Varady in dieser Mischung aus Interview, Kunst und Dokumentation vorstellen wird. Allein mit dem Blick auf Fischer-Dieskau setzt sich der Regisseur kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag ein eindrucksvolles Denkmal.

Christoph Broermann

Fotos: EuroArts