Archiv     Kommentare     Dossier     Backstage     Kleinanzeigen     Links     Buch/DVD     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
 Partner von DuMont Reiseverlag  
 
     

DVD-Besprechung

Klassik und Kalter Krieg

4.9.2012


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

zurück       Leserbrief

Kleine deutsche Geschichte der Musik

Wer die Begriffe Deutschland, Musik und Geschichte miteinander verbindet, denkt wohl zuerst an Beethoven, Wagner, Brahms, womöglich auch Stockhausen oder Gluck. Thomas Zintl hat sich in seinem 52-minütigen Dokumentarfilm Klassik und Kalter Krieg einmal einem völlig anderen Aspekt deutscher Musikgeschichte gewidmet. Gemeinsam mit Barbara Wunderlich beleuchtet der Regisseur die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik.

Formal eher konventionell werden Zeitzeugen gegen historische Dokumente geschnitten. Gleichsam im Widerspruch zur Formalismus-Debatte in der so genannten DDR gewinnt der Film durch seine inhaltliche Substanz. Der Auftritt des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt – selbstverständlich mit Zigarette im Bild – darf wohl eher als verkaufsförderndes Argument, denn als echte Bereicherung verstanden werden. So fällt denn auch sein Kommentar, es bestehe die Gefahr, Musik für die Politik zu instrumentalisieren, eher als überflüssiger Allgemeinplatz aus. Interessanter dann schon seine These, dass es legitim sei, wenn Künstler sich einem wie auch immer gearteten Regime in ihrer politischen Überzeugung unterordnen, um ihrer Kunst treu bleiben zu können. Das ist durchaus diskussionswürdig, wird aber von Zintl im Raum stehen gelassen. Kritisch ist dann schon, dass der Regisseur den Star-Tenor Peter Schreier in missverständlichen Formulierungen zeigt. Denn natürlich freut sich Schreier nicht über den Mauerbau, sondern über den Zufall der Geschichte, der ihm eine Anstellung bescherte. Das ist schlechtes Handwerk.

Natürlich kann eine Dokumentation in dieser zeitlichen Kürze nicht über vierzig Jahre aufarbeiten, aber sie kann dem Zuschauer ein Gefühl vermitteln. Vom Mief der DDR, von der Pseudomoral eines Regimes, dass der Kultur – und einzelnen Kulturschaffenden – nur deshalb Privilegien verschafft, weil sie Geld in die Staatskassen spült und spülen. Von einem so genannten Sozialismus, der den Besserverdienenden mehr Geld zugesteht als den weniger Prominenten. Davon erzählen Zeitzeugen wie Hans Pischner, ehemals stellvertretender Kulturminister, oder Hermann Falk, Leiter der „Künstler-Agentur“, heute gelassen und entspannt vor der Kamera. Zintl lässt sie ebenso reden wie einen Kurt Masur, zeigt Bilder von der Arbeit eines Felsenstein – und schafft so ein sehr dichtes, lebendiges Bild einer längst vergangenen Zeit, die bis in die Gegenwart hineinreicht.

Der Film indes endet elegant mit einer Fidelio-Aufführung, ohne bis dahin eines der typischen Bilder aus jener Zeit ausgelassen zu haben; aber auch nicht, ohne ihnen bislang unbekannte, intensive und markante Bilder hinzuzufügen. Zurück bleibt die Gewissheit, diese DVD ganz sicher nicht zum letzten Mal gesehen zu haben.

Die DVD erscheint am 10. September 2012.

Michael S. Zerban

Fotos: Arthaus