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Buchbesprechung

Goethe & Schiller - Geschichte einer Freundschaft


Rüdiger Safranski


Rüdiger Safranski, geboren 1945, ist Philosoph und vielfach preisgekrönter, in 28 Sprachen übersetzter Autor unter anderem von großen Biographien über E.T.A. Hoffmann, Heidegger, Nietzsche, Schiller, von Büchern über die menschlichen Grundfragen, unter anderem über das Böse und die Wahrheit, und zuletzt der vielgepriesenen Bücher über die Romantik 2007 und über die Freundschaft von Goethe und Schiller 2009.


Kaufinformationen

Rüdiger Safranski: Goethe & Schiller - Geschichte einer Freundschaft

Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-23326-3

Hardcover, 344 Seiten, 21,50 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

zurück       Leserbrief

Spannende Geschichte

Ein vor zwei Jahren erschienenes und schon dutzendfach besprochenes Buch erneut zu besprechen, muss besondere Gründe haben. Das umso mehr, wenn der Autor, der Literaturhistoriker, Kenner deutscher Geistesgeschichte und Philosoph Rüdiger Safranski inzwischen weitere Preise als Literaturschriftsteller gesammelt hat wie zuletzt 2014 den Lübecker Thomas-Mann-Preis.

Doch ein Autor, ein Buch verliert nicht seine Attraktivität und Qualität, weil es schon mehrfach ausgezeichnet wurde – im Gegenteil. Zwei Gründe sind der Anlass für diese „Spätausgabe“: Zum einen ist es die außerordentliche historische und sprachliche Qualität dieser detaillierten Untersuchung, zum anderen die selten betrachtete Nähe von Goethe und Schiller zum Theater, zur Theater-Autorenschaft und zu Fragen der Dramaturgie.

Safranski ist es gelungen, aufgrund sorgfältigen und umfangreichen Quellenstudiums die Geschichte einer Beziehung zwischen zwei sehr eigenwilligen Geistesheroen zu schreiben, die ihresgleichen sucht. Dicht im ausgebreiteten Stoff, thematisch klar gegliedert und übersichtlich, mit vielen punktgenauen und oft überraschenden Originalzitaten gespickt, und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Der historisch Interessierte fühlt sich informiert, wenn Safranski, fast beiläufig, persönliche Ereignisse der beiden Klassiker politisch einordnet, der literaturgeschichtlich Bewanderte ist erstaunt über die – auch handwerklich enge – Zusammenarbeit dieser beiden Sprachmeister, literaturkritische Leser werden sich über die sprachliche Genauigkeit und Überschaubarkeit von Safranskis Sprache freuen, und Theaterenthusiasten erfahren über Entstehungsgeschichte und dramaturgisches Arbeiten an großen Vorlagen wie Schillers Wallenstein-Trilogie mehr als aus manchem Fachlexikon.

Safranski stellt dem Leser zwei sehr unterschiedliche, eigenwillige und besondere, um nicht zu sagen „sonderliche“ Personen vor. Goethe, schon früh zum Geheimen Legationsrat vom Herzog bestallt und damit finanziell bestens ausgestattet, erscheint „würdevoll steif“ als Vertreter einer „alten Macht aus einer höheren Welt“. Nach dem Erscheinen des Götz von Berlichingen 1773 und des Romans Die Leiden des jungen Werther ein Jahr später wird Goethe zum wichtigsten Vertreter des Sturm und Drang, der auch seinen Lebensstil dieser neuen Bewegung anpasst, sich vor Skandalen nicht fürchtet und „das eigene Leben zum Kunstwerk“ macht. Schiller, zehn Jahre jünger und ungestümer als Goethe und viel früher als dieser verstorben, sucht hinter dem Natürlichen den Geist, die Ideen, sucht bei einer Leichenöffnung im Kopf nach dem „Sitz der Souveränität“. Schillers Credo: Die Seele hat einen tätigen Einfluss auf das Denkorgan.

Ob in ihren Beziehungen zum weiblichen Geschlecht, bei ihrer Lust am Reisen, ihrem Interesse am gesellschaftlichen Leben: Unterschiedlicher können zwei so ausgeprägte Charaktere nicht sein. Und doch finden sie sich nach vorsichtiger, tastender Annäherung beruflich und persönlich zu einer tiefen Freundschaft zusammen, die in gegenseitiger Achtung an der Verbesserung der Arbeiten des anderen mitwirken. Gemeinsam erarbeiten Goethe, als Theaterleiter in Weimar direkt verantwortlich, und Schiller, inzwischen anerkannter Theaterschriftsteller, Grundzüge für ein zeitgemäßes Theater, von dem sie Naturwahrheit und Kunstwahrheit gleichzeitig verlangen. Mit ihren Ideen zu einer Weimarischen Dramaturgie wollen sie den tiefen Grund der Menschheit aufregen.

Und natürlich haben beide ihre ironische Freude an einer messerscharfen Kritik, wenn Goethe sich beispielsweise über den Geschmack des deutschen Publikums mokiert und das allgemeine und revoltante Glück der Mittelmäßigkeit aufspießt. Schiller schlägt gleich noch heftiger drein: Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent.

Wenn man nach häufigem Zurückblättern und erneutem Lesen dann doch auf den letzten Seiten angekommen ist und dort noch erfährt, dass Goethe Schillers Schädel für ein Jahr in seiner Bibliothek aufbewahrte, ist man nicht mehr überrascht, dass beide der Glaube an das Geisterzeugte verbindet.

Safranskis Geschichte der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller lädt, kaum hat der Leser ein wenig nachdenkend verschnauft, bald zum erneuten Lesen ein, so vieles ist nach-zu-denken, in Erinnerung zu rufen, auch nachzuschlagen, wären da nicht viele andere Titel von Safranski, wie zum Beispiel die Einzelbiographien dieser beiden Freunde – nachdrücklich empfohlen.

Horst Dichanz, 21.7.2014