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Buchbesprechung

Legendenbildung


Herausgeberin



Gabriele Strauss-Hotter ist die Tochter des Bassbaritons Hans Hotter und war in ihrer Jugend seine Reisebegleiterin. Sie heiratete Richard Strauss, den älteren Enkel des Komponisten. Ab 1991 übernahm die Bibliothekarin und Kunstpublizistin das große Strauss-Archiv und wertet es seitdem kontinuierlich aus.


Kaufinformationen

Gabriele Strauss, Barbara Wunderlich (Hrsg.): Der Patriarch - Richard Strauss und die Seinen

Arthaus Musik

ISBN 978-3-86923-200-3

Hardcover, 130 Seiten, 50 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Missglückte Kultpflege

Er war schwer krank, ein Familientyrann, Korinthenkacker und entwickelte sich nach seinen ersten Erfolgen zum Egomanen. Er versuchte, den Kult um seine Person schon zu Lebzeiten, sicher aber für die Nachwelt zu installieren. Ein Geschäftsmann, der mit scharfem Kalkül auch schon mal kostenlose Dirigate gab, wenn er damit Menschen für sich verpflichten konnte. Seine Kompositionen, die bis heute ein weltweites Publikum begeistern, waren ihm Mittel zum Zweck. Seine Theorien zum Musiktheater mindestens verworren, wenn nicht halbgar. Das alles ist bekannt. Und die Genialität seiner Musik ist eigentlich Rechtfertigung genug. Wenn es nicht Menschen gäbe, die es noch besser machen wollten.

Arthaus Musik hat ein Buch mit DVD oder eine DVD mit Buch herausgebracht, die auch für Liebhaber noch einiges Neues bieten dürften. Das Buch Der Patriarch – Richard Strauss und die Seinen ist ein buntes Sammelsurium auf rund 130 Seiten, etwa im DIN-A4-Format, das nicht nur verschiedene Lebensbereiche des Komponisten und Dirigenten in – nachlässig korrigierten – Texten beleuchtet, sondern auch Korrespondenzen, Interviews mit den Nachfahren und eine Vielzahl bislang unveröffentlichter Fotografien sowie Tagebucheinträge von Strauss enthält. Neben Gabriele Strauss und Barbara Wunderlich, die als Herausgeberinnen genannt werden, haben an dem Werk auch Musikwissenschaftler und Strauss-Spezialist Laurenz Lütteken und Journalist Thomas Voigt mitgearbeitet. Seit 1991 leitet die Bibliothekarin und Kunstpublizistin Strauss-Hotter das Strauss-Archiv in Garmisch-Patenkirchen. Seitdem wertet sie es auch aus. Wie in der schönen Autorenbeschreibung im Buch zu lesen ist, sind die vorliegenden Werke die ersten Dokumentationen, an denen sie „aktiv persönlich mitgearbeitet“ hat. Wunderlich hat nach ihrem Klavierstudium als Anzeigenverkaufsleiterin gearbeitet, ehe sie sich dem Fritz-Wunderlich-Familienarchiv widmete. Als Tochter des Tenors Fritz Wunderlich beließ sie es aber nicht dabei, sondern ist in verschiedenen archivarischen Projekten engagiert. Unter anderem ist sie auch als Autorin an dem 52-minütigen Dokumentarfilm Richard Strauss – Skizze eines Lebens beteiligt, der dem Buch als DVD beiliegt.

Regisseurin Marieke Schroeders hat diesen Film zum 150. Geburtstag von Strauss mit der Unterstützung von Kameramann Thomas Bresinsky in Szene gesetzt. Ausgehend von dem Gedanken, dass die Villa in Garmisch das „spirituelle Zentrum“ war, der Ort, an dem die berühmtesten Werke von Strauss entstanden, wählt sie das Gebäude auch als Zentrum ihres Films. Wunderlich führte dort ihre Interviews mit Zeitzeugen und Bewohnern des Hauses.

„Doch bei den Vorbereitungen für den Film wurde auch schnell klar, so viele Fotos aus dem Familienarchiv, seine Korrespondenz mit Familie und Kollegen, aber vor allem seine Tagebucheintragungen können in einem 52-minütigen Film nicht ausführlich gewürdigt werden. [Das Buch] ist also keineswegs nur das Buch zum Film, sondern eine eigenständige Ergänzung“, heißt es zum Schluss im Buch.

Das gelingt nicht. Zu stark sind die Überschneidungen von Film und Buch. Und: Über allem liegt eine schwere, Atemnot erzeugende Wolke von Weihrauch. So eindringlich sind die Wiederholungen und Schilderungen, so unkritisch die Darstellungen, dass einen – bei etwas größerer Distanz – ein Unwohlsein überkommt. Eine Gruppe von Menschen versucht, ein Denkmal aus Stein mindestens in Bronze zu verwandeln. Am Ende überwiegt der Eindruck, einer allzu offensichtlichen Propaganda aufzusitzen, die selbst die Widersprüche noch schönredet. Das  mag den Anhängern eines Strauss-Kults gefallen. Bei allen anderen bleiben allzu viele Fragen offen – oder schlimmer: Die anderen fühlen ihren Blick verstellt. Da gewinnt dann auch die absolut hochwertige Ausstattung von Buch und Film einen Beigeschmack.

Strauss schrieb „ab 1933 bis an sein Lebensende in kleine, schulheftähnliche Notizhefte“ sein eigentliches Vermächtnis. Diese Hefte erscheinen – so ist zu lesen – demnächst in einer Edition des Richard-Strauss-Instituts Garmisch „mit umfassenden Kommentaren und erstmals ungekürzt und vollständig“. Hier wird eine kritische Rezeption angebracht sein.

Allzu schön gefärbt, kommt ein Werk daher, das eben dadurch seine Glaubwürdigkeit verliert. Eigentlich könnte man das geniale Erbe dieses Musikers so stehen lassen, wie es ist. Den Menschen Richard Strauss auf einen allzu hohen Sockel zu stellen, der aus Stroh gebaut ist, taugt nicht. Oder allenfalls für Menschen, die ihren Meister verehren wollen. Die finden sich hier in illustrer Runde.

Michael S. Zerban, 20.2.2015