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Buchbesprechung

Travels with my Opera Glasses


Autor



Anthony Ogus studierte in London und Oxford Jura. Heute ist er emeritierter Professor der Universitäten von Manchester und Rotterdam. Zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Rechtspflege. Heute beschäftigt er sich mehr denn je mit der Oper und ist außerdem als Sprecher für Hörbücher tätig.


Kaufinformationen

Anthony Ogus: Travels with my Opera Glasses.

Melrose Books

ISBN 978-1-908645-53-1

Paperback, 208 Seiten, 12 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

zurück       Leserbrief

Spaziergang durch ein halbes Jahrhundert Oper

Wer in der Welt des Musiktheaters auf dem Laufenden bleiben will, liest, hört und sieht Opernnetz. Wer in den vergangenen fünfzig Jahren das Operngeschehen auf der ganzen Welt verfolgt hat, wird schon des Öfteren gedacht haben: Darüber sollte ich eigentlich ein Buch schreiben. Anthony Ogus ließ es nicht bei einem Plan, sondern setzte ihn in die Tat um. Über 1.000 Aufführungen hat er nach eigenen Angaben gesehen. Grund genug, uns von seinen persönlichen Erfahrungen in (fast) jeder Hinsicht zu berichten.

Als Student hatte er kaum das Geld, sich die Karte für einen Opernbesuch zu leisten; später war er als Anwalt und Professor in England und den Niederlanden tätig und konnte sich Gedanken über die richtige Bekleidung anlässlich einer Premiere machen. Zwischenzeitlich schrieb er für das inzwischen eingestellte Opernmagazin Orpheus Kritiken. Heute ist Ogus emeritiert und hat die Zeit gefunden, ein knapp 200 Seiten umfassendes Werk zu verfassen, das seine Erfahrungen reflektieren soll und bei Melrose Books, Cambridgeshire, auf Englisch erschienen ist: Travels with my Opera Glasses.

„Wenn ich mich entscheiden müsste, sagen wir, zwischen einer Eintrittskarte von 40 Pfund für die gute Produktion eines provinziellen Hauses ohne Star-Sänger oder 100 Pfund für berühmte Sänger in einem international bedeutenden Haus, aber in einer unsäglichen Produktion – ich würde mich immer für ersteres entscheiden“, ist eines der vielen sympathischen Statements, die sich zwischen vielerlei Anekdoten und Histörchen finden. Selten allerdings wird Ogus so deutlich wie im Fall der Katharina Wagner: „Warum ich 2009 aufhörte, mich um Karten für Bayreuth zu bewerben? In diesem Jahr wurde die Künstlerische Leitung von den beiden Urenkelinnen Richard Wagners übernommen, Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. 2008 hatte ich Katharinas Produktion des Rienzi in Bremen gesehen. Es war unglaublich schrecklich. Wie ich gelesen habe, war ihre Produktion der Meistersinger für das Festival genauso schlecht. Ich werde nicht nach Bayreuth zurückkehren, solange sie das Ruder in der Hand hat.“

Auch Hans Neuenfels zählt nicht zu den direkten Freunden des Jura-Professors und Operamaniacs, wie er sich selbst bezeichnet. Dem gehe es nicht um die Oper, sondern um die Provokation des Publikums, und das ist nichts für Ogus. Ansonsten geht es in dem Werk durchaus moderat und auch oftmals heiter-besinnlich zu. Ogus berichtet über die verschiedenen Opernhäuser und andere Aufführungsorte, die Besonderheiten von Opernreisen und Eintrittskarten. Ein Kapitel widmet der Autor den Krankheiten, Streiks und anderen Kalamitäten im Opernbetrieb. Und wenn er sich dem Publikum zuwendet, muss sich so manch einer wohl den Spiegel vorhalten lassen. Etwas unerquicklich, dass der Autor mit unschöner Regelmäßigkeit darauf hinweist, dass er zu diesem Thema auch etwas in einem anderen Kapitel geschrieben hat. Eine akademische Marotte, von der man sich den Spaß nicht verderben lassen soll.

Viel Raum nimmt zu Recht die Frage ein, wie viel Inszenierung eine Oper braucht. „Als ich jünger war, bot die Oper kaum mehr als einen Bühnenrahmen für die Sänger und ihre Musik.“ Früher war nämlich nicht immer alles besser. Und so kommt Ogus zu dem versöhnlichen Schluss, dass die stetige Wiedererneuerung der Oper der beste Weg sei, auch in Zukunft schöne Aufführungen zu erleben.

Es ist ein Buch, in dem viele Opern-Enthusiasten ihre Meinungen bestätigt finden werden. Aber es ist vielleicht noch viel mehr ein Buch für Einsteiger, die sich von der Wucht und der Vielfalt des bestehenden Angebots eher abgeschreckt als angelockt fühlen. Hier werden sie an die Hand genommen und behutsam in eine immer noch bezaubernde Welt geführt, die zwar mit steigenden Eintrittspreisen immer mehr Menschen ausschließt, aber ihren Reiz nicht verliert und deshalb immer wieder neu entdeckt werden kann.

Michael S. Zerban, 19.6.2013